© 2010 Reiner Wandler

Die Suche nach einem Verschwundenen

Viel ist es nicht, was Fausto Canales von seinem Vater Valerico geblieben ist. Nicht einmal die Geschichte, wie der Tagelöhner aus Pajares de Adaja in der zentralspanischen Provinz Avila 1936 von den Anhängern des Generals Francisco Franco abgeholt und erschossen wurde, ist seine. Fausto weiß dies nur aus Erzählungen. Denn als all das passierte, war er erst zwei Jahre alt. Vielleicht hängt der heute 76-Jährige deshalb so an diesem alten Schwarz-Weiß-Foto. Es stammt von der Nachrichtenagentur EFE. Zu sehen sind drei Männer, wie sie Kisten stapeln. „Nummer 198“, sagt Fausto, „darin liegen die Überreste meines Vaters.“ Das Foto ist das einzig Eigene, das er von seinem Vater hat. Er fand es bei jahrelangen Nachforschungen. Zu Hause hängt das Original eingerahmt an der Wand.

Heute holt Fausto das Bild einmal mehr aus seiner Aktentasche. Er sitzt in der Fakultät für Arbeitsrecht im Zentrum Madrids. „Wir unterstützen Baltasar Garzón“, steht am Eingang zu lesen. Die Angehörigen der Opfer der faschistischen Repression treffen sich hier täglich. Sie erzählen ihre Geschichten und solidarisieren sich mit dem Richter, der das Verschwinden von mindestens 112.000 Menschen während des Bürgerrkieges (1936-1939) und den Jahren danach ermitteln wollte, und jetzt dafür vom Obersten Gerichtshof der „Rechtsbeugung“ angeklagt ist. Garzón droht Berufsverbot. Am kommenden Donnerstag, den 22. April, wird die Justizbehörde über eine einstweilige Suspendierung des Richters bis zum endgültigen Urteil beraten.

„Die wollen Garzón weghaben, um das Thema der Verschwundenen weiterhin totschweigen zu können“, beschwert sich Fausto, der zu denen gehört, die 2006 und 2007 Anzeige erstatteten und damit erreichten, dass Richter Garzón wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelte. Gewerkschaften, Juristen bis hin zu namhaften Künstler, wie Regisseur Pedro Almodóvar, unterstützen Garzón und die Opferfamilien. „Überall auf der Welt wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgearbeitet“, sagt Fausto energisch.

Nach kurzer Pause kommt der alte Mann auf die Suche nach seinem Vater zurück. „Es war am frühen Morgen des 20. August 1936 als ihn eine Gruppe von Falangisten mitnahm“, beginnt er mit der Geschichte, wie er sie von seiner Großmutter hunderte Male gehört hat. Seine Mutter saß dann immer schluchzend dabei. „Sie hat nie geredet. Zu tief saß der Schmerz.“

Der gewerkschaftlich organisierte Valerico Canales wurde zusammen mit sechs anderen, unter ihnen der Bürgermeister von Pajares, auf einen LKW verladen. 30 Kilometer weiter hielten die faschistischen Schergen an, erschossen ihre Opfer und verscharrten sie. Alle wussten davon, doch niemand traute sich die Leichen zu suchen. Zu groß war die Angst vor der Diktatur.

Erst 1999 als Fausto nach einem langen Arbeitsleben als Landwirtschaftsingenieur in Rente ging, machte er sich auf den Weg. Mittlerweile hatten sich überall in Spanien Familien zusammengeschlossen, die nach ihren Verschwundenen forschten. Zusammen mit den Angehörigen der anderen sechs fand Fausto 2003 das Massengrab und öffneten es. „Wir entdeckten nur einen Schädel, ein paar Wirbel und Zähne“, berichtet er. Sie informierten den zuständigen Richter. Doch der antwortete nicht einmal.

„Schließlich erzählte mir ein alter Mann, dass die Leichen 1959 abtransportiert worden waren“, fährt Fausto fort. Diktator Franco hatte damals überall im Lande Massengräber öffnen lassen. Die Leichen wurden in das Tal der Gefallenen, einer in den Fels getriebene Basilika unweit von Madrid, gebracht. Zehntausenden Tote beider Seiten des Bürgerkrieges ruhen dort. Eine Geste der Versöhnung sahen die Faschisten darin. 1975 wurde auch Franco in dieser Felsenkirche beigesetzt.

Weitere Recherchen führten Fausto schließlich 2004 zur Kiste 198 und dem Foto der EFE. Richter Garzón ordnete 2008 an, dass die Überreste der Sieben an die Familien ausgehändigt werden müssen. Doch dann wurde er von der Staatsanwaltschaft und dem Obstersten Gerichtshof gestoppt. Den Erfolg zum greifen nahe, befürchtet Fausto jetzt, dass die ganze Suche nach seinem Vater vergebens war.

Was bisher geschah: