© 2009 Reiner Wandler

Flüchtlingstragödie vor Spaniens Küste

Nach einem ruhigen Sommer kam jetzt der Schock. Am frühen Samstagmorgen ging beim Roten Kreuz in Südspanien der Notruf eines mit 40 Personen besetzten Flüchtlingsbootes ein. Die Besatzung des Schlauchbootes mit Außenborder gab an, in Seenot zu sein: „Die Stimme sagte, einen Leuchtturm zu sehen“, erklärt ein Sprecher des Roten Kreuzes. „Wir gingen davon aus, dass sie ganz nahe sind.“ Dies sollte sich als Irrtum herausstellen. Das Boot, das um fünf Uhr in der früh an der marokkanischen Küste in See gestochen war, hatte die Hoheitsgewässer des nordafrikanischen Königreichs nie verlassen. Anstatt Kurs nach Norden über die Meerenge von Gibraltar zu nehmen, war es parallel zur Küste abgetrieben worden.

Meerenge von Gibraltar

Nahe der kleinen Insel Perejil unweit der spanischen Exklave Ceuta konnte die spanische und marokkanische Küstenwache elf Überlebende retten. Acht Leichen wurden geborgen. Die restlichen Flüchtlingen werden noch immer vermisst. Sie lebendig zu finden, gilt als unwahrscheinlich. Unter den Verschwundenen sollen sich nach Angaben der Überledenden mehrere hochschwangere Frauen und drei Babys befinden. Einmal mehr endete der Traum von rund 30 Flüchtlingen aus Schwarzafrika in den tödlichen Fluten dort, wo Atlantik und Mittelmeer zusammenfließen. 12 lange Kilometer trennten sie noch von Spaniens Küste und dem vermeintlichen El Dorado Europa.

Die letzte Tragödie datiert vom vergangenen Mai. Damals starben 18 Personen – unter ihnen 8 Babys – in der Meerenge von Gibraltar. Im Februar verschwanden 21 Flüchtlinge in den Gewässern vor der Kanareninsel Lanzarote. Die spanischen Behörden zählen für dieses Jahr 70 Menschen, die die Überfahrt nach Spanien mit dem Leben bezahlt haben. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiß niemand zu sagen. Viele Boote – vor allem diejenigen, die von Westafrika auf die Kanaren übersetzen – werden nie erfasst.

Dabei war 2009 bisher ein ruhiges Jahr. Nach Angaben des spanischen Innenministeriums sind in den ersten sieben Monaten nur 4.457 Bootsflüchtlinge in Spanien angekommen – 1798 auf den Kanaren, der Rest an der Meerenge von Gibraltar. Das sind 40 Prozent weniger als noch 2008 und über 74 Prozent weniger als im Rekordsommer 2006, als 40.000 hölzernen Fischerboote aus Westafrika auf den Kanaren anlegten. Im April, Mai und August registrierte die spanische Küstenwache kein einziges Boot auf den Kanaren.

„Der Rückgang ist durch die Effektivität bei der Abschiebung und durch die Kontrollen auf hoher See zu erklären“, heißt es aus dem Innenministerium. Minister Alfredo Pérez Rubalcaba hat in den vergangenen Jahren mit mehreren westafrikanischen Staaten wie Mali, Mauretanien und dem Senegal höchstpersönlich Rücknahmeabkommen ausgehandelt. Dies schrecke die Flüchtlinge ab. Außerdem verstärkte die EU-Grenzagentur Frontex ihr Aufgebot in den Gewässern des Senegal. Schiffe und Flugzeuge suchen den Atlantik zwischen Westafrika und den Kanarischen Inseln nach Flüchtlingsbooten und bringt sie zurück in den Senegal oder nach Mauretanien, wo sie in See stachen.

Eine weitere Rolle für den Rückgang dürfte die Wirtschaftskrise in Europa spielen. Spanien verzeichnet die höchste Arbeitslosenrate in der EU. Fast 19 Prozent sind ohne Job. Besonders betroffen ist die Bauindustrie, die so manchen „sin papeles“ beschäftigte. Außerdem drängen die arbeitslosen Spanier wieder in Wirtschaftssektoren, die sie zu Zeiten des Booms verlassen hatten. So wird die Ernte in Südspanien wieder von einheimischen Arbeitskräften eingebracht. Ganze Gruppen von Immigranten ziehen über das Land auf der verzweifelten Suche nach einem Job.

Was bisher geschah: