© 2009 Reiner Wandler

Freizeit auf Spanisch

Kuh zu sein in Madrid ist nicht leicht. Selbst dann, wenn man der berühmten Cow Parade angehört. Ob Berlin oder Bern, ob New York oder Sydney, der Empfang war immer herzlich. Die Menschen lichteten sich gerne mit den phantasievoll verzierten Fiberglaskühen ab. Kunst auf der Straße ist in. Nicht so in Madrid.

Kaum waren die Kühe – ursprünglich eine Initiative der Stadt Zürich – aufgestellt machten sich die Madrider Nachtschwärmer in Horden über sie her. Die Kunstwerke wurden beschmiert, mit Knüppel bearbeitet, umgestürzt. Einer als Ikarus verkleideten Kuh wurde ein Flügel abgebrochen, eine andere wurde gar gestohlen. Nirgends in den rund 60 Städten weltweit, in denen die Cow Parade bisher ihren Auftritt hatte, ging es den bunten Wiederkäuern so schlecht wie jetzt in der spanischen Hauptstadt. Die eigens eingerichtete Cow-Klinik kommt mit dem Reparieren nicht nach. „Zu Hause lieber Junge, auf der Straße zerstöre ich Kühe“, konstatiert Spaniens größte Tageszeitung, El País, entsetzt.
Madrid ist keine Ausnahme. Überall in Spanien gehen Nachtleben und Vandalismus einher. So wird zum Beispiel in Oviedo einer Statue zu Ehren von Woody Allen regelmäßig die Brille abgebrochen. Und in Sevilla kommen die Gemeindearbeiter gar nicht nach, wenn es darum geht eine der Sehenswürdigkeiten der Stadt, die mit andalusischen Kacheln verzierte Plaza de España, zu restaurieren. Jedes Wochenende werden die Ornamente zerdeppert – mit leeren Bierflaschen.

War Spanien bis 1975 eines der autoritärsten Länder Westeuropas, gehen seit dem Ende der Diktatur zusehends die sozialen Normen verloren. Nirgends ist die Gesellschaft so tolerant, wenn selbst elementarste Regeln des Zusammenlebens missachtet werden. Ob Drogenkonsum in aller Öffentlichkeit, Massenbesäufnisse oder eben Vandalismus, Bürger und Behörden schauen weg. Die meisten Eltern nehmen ihre Sprösslinge in Schutz, wenn dieren Verhalten kritisiert wird. Verständnisvoll finanzieren sie die Exzesse ihres Nachwuchses am Wochenende. Die Schulabbrecherquote liegt bei 30 Prozent. Die Lehrergewerkschaften beklagen sich immer wieder über Gewalt an der Schule. Nicht etwa nur seitens der Schüler, sondern durch die Eltern, die erzürnt vorstellig werden, wenn ein Lehrer es wagt, erzieherisch einzugreifen. Nicht wenige Lehrer mussten dafür Schläge seitens der Eltern einstecken. Wenn wundert es da, dass die Jugendlichen die Familie ganz oben auf der Liste haben, wenn sie gefragt werden, was sie am meisten schätzen. Nirgends in Europa ziehen die jungen Menschen so spät aus wie in Spanien.

Immer wieder sorgte das spanische „laissez faire“ gar für internationale Zwischenfälle. Die Botschaften müssen Jugendliche aus dem Polizeigewahrsam holen, weil sie im Urlaub in aller Öffentlichkeit ihren Joint bauten oder Koks konsumierten. „Nicht überall ist dies einfach so möglich“, warnt das Außenministerium jedes Jahr rechtzeitig zu den Sommerferien. Vergebens.

Vor wenigen Monaten wurden in Riga zwei Spanier verhaftet, als sie eine lettische Fahne vom Mast holten. Nach 19 Tagen Haft wurden sie gegen Kaution freigelassen. Zu Hause hatten Eltern, Presse und Politik eine Kampagne gegen die lettischen Behörden gestartet. Sie entschuldigten das Verhalten der Verhafteten als „einen harmlosen Bubenstreich“. Die beiden Buben waren knapp 30 Jahre, ausgebildete Ingenieure und wohnten bei Mama.

Den spanischen Jugendliche eilt ihr Ruf längst voraus. So berichtet El País von einem Schild in der Jugendherberge in Amsterdam. „Bitte respektiere die Gemeinschaftsräume“, steht dort auf einem Schild zu lesen. Nicht auf Holländisch und auch nicht auf Englisch – nein, nur in der Sprache von Cervantes.

Was bisher geschah: