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Erzkatholen gegen Ausstellung

 

„Kunst ist nicht schön und neu, sie ist effektiv und störend“, lautete das Motto des wohl wichtigsten bildenden Künstlers Lateinamerikas der letzten Jahrzehnte, León Ferrari. Eine Retrospektive des Schaffens des Argentiniers ist jetzt zu seinem 100. Geburtstag im Madrider Nationalen Museum für Moderne Kunst, dem „Reina Sofía“, zu sehen.

Die Reaktionen auf die Werke des 2013 verstorbenen Künstlers geben seinem Motto recht. Die erzkatholische Gruppe Hazteoir.org (Verschaff dir Gehör) läuft Sturm. Sie hat 22.000 Unterschriften für die sofortige Schließung der Ausstellung gesammelt, die vom 18. Dezember bis Mitte April in Madrid zu sehen ist, bevor sie ins Van Abbe Museum in Eindhoven und ins Centre Pompidou in Paris weiterzieht. Die Ausstellung „beleidigt Jesus“ und „macht sich über das Evangelium lustig“. Das Museum habe für die Eröffnung der Ausstellung „Weihnachten ausgesucht, denn sie versuchen so viel Schaden wie möglich anzurichten“. Die „Vereinigung Christlicher Anwälte“ geht noch einen Schritt weiter. Sie hat den Direktor des „Reina Sofías“, Manuel Borja-Villel, wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ angezeigt.

Ob Gemälde, Zeichnungen, Installationen, Skulpturen oder Gedichte, Ferrari provoziert. Eines der wichtigsten Objekte der Ausstellung zeigt einen Jesus, der auf einem US-Kampfjet gekreuzigt wurde. Die Skulptur mit dem Namen „Die westliche und christliche Zivilisation“, die jetzt Spaniens Erzkatholen in Rage bringt, stammt aus dem Jahre 1965 und war Ferraris Beitrag zu den Protesten gegen den Vietnamkrieg. Religion war für Ferrari, dessen Vater Kirchenmaler war, nicht zuletzt ein Mittel, um Machtwillkür, Gewalt gegen Andersdenkende und Kriege zu rechtfertigen.

So verwundert es auch nicht, dass Ferrari, der 2007 den Goldener Löwe Biennale in Venedig verliehen bekam, das Thema Religion immer wieder aufgriff. In der Ausstellung sind Jesusfiguren in einer Bratpfanne, auf einer Zitronenpresse oder einem Reibeisen zu sehen. Mehrere Collagen mischen religiöse und sexuelle Symbolik.

Eines der wichtigsten Gemälde ist eine Kopie des Bildes „Das jüngsten Gericht“ aus der Sixtinischen Kapelle von Miguel Angelo, bedeckt mit echter Vogelscheiße. „Die wahre Hölle ist mental, mit der Idee der ewigen Strafe zu leben“, schrieb Ferrari einst. Der Teufel verstecke sich in der Intoleranz und dem blinden Glauben. Am Eingang der Ausstellungsräume weisst ein Schild darauf hin, dass das Gezeigte die Gefühle des Betrachters verletzten könne.

Der Name der Madrider Retrospektive – „Die freundliche Grausamkeit“ – erinnert an einen Gedichtband Ferraris mit dem dieser seinem während der argentinischen Militärdiktatur verschwundenen Sohnes gedachte.

Ein Großteil der ausgestellten Objekte und Dokumente wurden von der Stiftung der Familie Ferrari dem Kunstmuseum Reina Sofia, dessen wichtigstes Gemälde wohl „Guernica“ von Pablo Picasso ist, überlassen, um sie in den Fundus aufzunehmen. Das Ziel der Stiftung ist es, Ferraris Werk in Europa bekannter zu machen. Neben dem Reina Sofia erhielt auch das Centre Pompidou eine Gabe.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Ferrari-Ausstellung für religiöse Proteste sorgt. Als seine Werke 2004 im Recoleta-Kulturzentrum in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires zu sehen waren, schrieb der damaligen Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Bergoglio und heutige Papst Franziskus einen Brief, in dem er den Künstler als „Gotteslästerer“ beschimpfte und zu „einen Tag des Fastens und des Gebets“, aufrief, damit „der Herr unsere Sünden und die der Stadt vergibt“.

Der heutige Papst unterstützte damit die Proteste vor dem Kulturzentrum. Täglich kamen Dutzende Katholiken zum Gebet vor dem Eingang zusammen. Sie beklagten „51 Beleidigungen von Jesus Christus, 24 der Jungfrau Maria, 27 der Engel und Heiligen, 3 direkt von Gott und 7 des Papstes“. Ein Mann drang in die Ausstellung ein und beschädigte eines der Werke schwer. Ferrari reparierte die Instalation nie. Stattdessen gab er ihr einen neuen Namen. „Danke Bergoglio“, heisst das Ensemble, das unter anderem ein Foto von Papst Johannes Paul II. zeigt, seither.

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