© 2017 Reiner Wandler

Hungerstreik gegen häusliche Gewalt

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„Terrorismus“ ist das Wort, das Susana Bejarano am meisten benutzt. Die 46-jährige Mutter zweier Söhne meint damit nicht etwa den radikalen Islamismus oder die baskischen Separatistenorganisation ETA, sie redet von häuslicher Gewalt. „Im vergangenen Jahr wurden in Spanien 105 Frauen von ihrem Partner oder ihrem Ex-Partner ermordet und seit Jahresbeginn sind es schon wieder 16“, verweist sie auf die traurige Statistik sie. Die dabei ebenfalls ums Leben gekommen Kinder wurden nicht mitgezählt.

Zusammen mit fünf weiteren Frauen ist Bejarano seit einer Woche (seit vergangenen Donnerstag) im Hungerstreik. „Wir wollen, dass die Politiker endlich etwas diesen Femizid unternehmen“, sagt sie. Die Sechs, fordern einen „Krisenstab gegen geschlechtsspezifische Gewalt“. Alle sechs wurden selbst Opfer der Brutalität ihrer Ex-Partner und gehören der Selbsthilfeorganisation „Ve la Luz“ (Sieh das Licht) an. Sie haben auf der Madrider Puerta del Sol, dort wo einst die Empörten mit ihrem Protestcamp für weltweite Schlagzeilen sorgten, einen notdürftigen Unterstand errichtet. Tagsüber dient diese Bude als Infostand. Nachts schlafen die Sechs darin. Vor dem Stand haben sie mit roten Schuhen ein riesiges Friedenszeichen ausgelegt. Auf Kartons stehen die Namen ermordeter Frauen. Das Symbol der roten Schuhe kommt aus Mexico, wo tödliche Gewalt gegen Frauen ebenfalls brutaler Alltag ist.

Bejarano, Angestellte in der Behindertenbetreuung, durchlebte 15 Jahre die Hölle der häuslichen Gewalt. „Von meinem 18ten bis zu meinem 33ten Lebensjahr gehörten psychische Misshandlung und Schläge zum Alltag“, erinnert sie sich. Bis ihr Partner sie eines Tages bewusstlos schlug. „Es war mein achtjähriger Sohn, der die Polizei verständigte.“ Bejarano brachte endlich den Mut auf sich zu trennen.

Der Infostand ist gut besucht. Vor allem Frauen halten inne, hören zu, berichten von eigenen Erfahrungen. „Das hat nichts mit der sozialen Schicht zu tun. Häusliche Gewalt gibt es überall“, meint eine der Frauen. Eine Lehrerin berichtet: „Das geht schon ganz jung los. 14-jährige Mädchen, die keinen kurzen Rock tragen, weil ihr Freund das nicht will. Eine Schülerin verteidigte mir gegenüber die ständige Überwachung durch ihren Freund: ‚Wenn er nicht eifersüchtig ist, liebt er dich nicht!‘“ – „Schreiben Sie: Das passiert hier in Spanien mitten in Europa und nicht irgendwo in einem unterentwickelten Land“, erhebt eine ältere Dame ihre Stimme, dreht sich um und geht.

Die sechs Frauen auf Sol sammeln Unterschriften unter einen 25 Punkte-Katalog. „Wir wollen, ein umfassendes Gesetz, für einen besseren Schutz der Frauen und bessere Programme zur Unterstützung der Opfer“, erklärt Bejarano. Ihr liegen besonders die Kinder am Herzen. „Mein Kleiner war damals 3 Jahre alt. Er redete nicht“, berichtet sie. Erst nach der Trennung lernte er das Sprechen. „Die Kinder sind meist völlig traumatisierte, sie brauchen umfassende Betreuung“, und die gebe es bisher nicht. „Die konservative Regierung redet ständig von den Opfern des Terrorismus, dabei hat ETA vor Jahren die Waffen niedergelegt. Wir wollen eine Status, der dem der Opfer des Terrorismus vergleichbar ist“, fordert Bejarano umfangreiche Hilfsprogramme.

Soweit ist es noch lange nicht. Im Parlament soll ein Pakt zwischen allen Parteien unterzeichnet werden, um dann gemeinsam nach Massnahmen zu suchen. „Die Unterschrift wurde von April auf Juni verlegt“, ist Bejarano empört. Bis dann endlich etwas geschieht soll erst einmal eine Parlamentskommission Sachverständige und Opfer anhören. „Das alles dauert mindestens bis Herbst“, ist sich Bejarano sicher. Bisher hat kein Politiker die Frauen auf der Puerta del Sol besucht.

Was die Hungerstreikenden und die Besucher des Standes am meisten empört, ist der fehlende Schutz der Opfer. Seit 2004 gibt es ein erstes „Gesetz zum umfassenden Schutz gegen geschlechtsspezifische Gewalt“. Nur genutzt hat es wenig. Jahr für Jahr steigt die Zahl der tödlichen Opfer. „Richter und Staatsanwälte sind doch selbst meist Machisten“, sagt eine der Umstehenden. Immer wieder räumen die Richter bei einer Scheidung trotz Anzeige von häuslicher Gewalt den Tätern Besuchsrecht bei den Kindern ein. Es kommt immer wieder zu tödlichen Attacken im Moment der Kinderübergabe. 41 Prozent der 2016 ermordeten Frauen hatten zuvor die häusliche Gewalt zur Anzeige gebracht. „Wenn Du bisher deinen Partner anzeigst, endest du oft dort“, sagt Bejarano und zeigt mit angespannter Mine auf die Namenstafeln und die roten Schuhe auf dem Platz.

Was bisher geschah: