Mit „Einheit und Demut“ werde er Podemos künftig führen, beteuerte der alte und neue Podemos-Generalsekretär Pablo Iglesias, auf dem zweiten Parteitag, nachdem das Abstimmungsergebnis der 450.000 online Eingeschriebenen Sympathisanten am Sonntag kurz vor Mittag bekannt gegeben worden war. Von den 155.190 per Internet abgegebenen Stimmen erzielte Iglesias rund 82 Prozent. Der Rest enthielt sich, oder stimmte für einen unbekannten Gegenkandidaten.
Bei den Wahlen zum Parteivorstand entfallen auf die Liste rund um Iglesias 50,8 Prozent. Der Generalsekretär hat damit – dank eines nicht proportionalen Wahlsystems – 60 Prozent der 62 Vorstandsmitglieder hinter sich. Auch bei der Abstimmungen über die künftige Politik, die Organisationsstrukturen, Ethik sowie Gleichstellung und LGTBI-Rechte innerhalb der Partei setzte sich Iglesias deutlich gegen die andere starke Strömung, die um Politsekretär Iñigo Errejón, durch. Die Anhänger Errejóns werden 37 Prozent des Parteivorstandes einnehmen. Dritter im Bund sind die trotzkistisch beeinflussten „Antikapitalisten“ rund um den Europaabgeordneten Miguel Urbán. Sie erhielten 13 Prozent der Stimmen, aber dank des Wahlsystems nur 3 Prozent der Sitze.
„Einheit und Demut, um die Partido Popular zu besiegen, in noch mehr Rathäusern, in autonomen Regionen und Spanien zu regieren“, rief Iglesias unter dem Jubel der 7.000 Besucher des Parteitags in einer überdachten Stierkampfarena in Madrid. Wie diese Einheit aussehen wird, ob er die unterlegenen Strömungen und vor allem seinen ehemaligen Freund und Nummer 2 und nun erbittertsten Gegner, Errejón, erneut in die Führungsspitze integrieren wird, darüber schwieg sich der Generalsekretär aus. Iglesias hatte in der Woche vor dem Parteitag Errejón immer wieder vorgeworfen, aus Podemos eine neue sozialdemokratische Partei machen zu wollen. Für den Fall, dass seine Dokumente nicht angenommen und seine Liste nicht die Mehrheit im neuen Parteivorstand erhalten würde, drohte Iglesias gar mit dem Rücktritt als Generalsekretär und mit der Niederlegung des Parlamentsmandats.
Vereinfacht auf den Nenner gebracht geht es beim Streit „Pablistas“ gegen „Errejonistas“ um ein Podemos als Teil eines breiten Linksblocks oder um eine transversale Podemos, jenseits der politischen Lager. Und vor allem darum, ob Podemos eine Partei ist, die stark auf Widerstand und Mobilisierung der Zivilgesellschaft setzt, oder ob sie Politik in den Institutionen macht, die „jetzt schon nützlich ist“. Wochenlang hatten sich die beiden und ihre Anhänger wilde Debatten geliefert; nie direkt; immer in den Medien und den sozialen Netzwerken.
Auf der „Bürgerversammlungen“ selbst wurde dennoch nicht debattiert und auch nicht abgestimmt. Die Entscheidungen fielen alle online die gesamte Woche über. Der Parteitag glich einem großem Meeting, in dem einer nach dem anderen auftrat, eigentlich um Programme und Kandidaturen zu verteidigen. Doch sowohl Iglesias als auch Errejón hielten Reden als wären sie auf einem der zahlreichen Wahlkampfmeetings, der letzten zwei Jahren. Nur wer zwischen den Zeilen zu lesen vermag, konnte die Unterschiede der beiden politischen Kontrahenten ausmachen. Iglesias redete von einer Partei, „die in nichts“ den anderen Parteien ähnelt und von „politischem Lager“. Errejón von „einem Podemos ohne Etiketten“, das in der Lage ist, die soziale Basis auszubauen, in dem jeder, egal woher er kommt, willkommen sei.
„Ja wir können!“ und vor allem „Einheit! Einheit!“ skandierte die Menge immer wieder. Sie applaudierten den beiden Kontrahenten – Generalsekretär Pablo Iglesias und Politsekretär Iñigo Errejón – gleichermassen. „Ich verstehe den Konflikt nicht wirklich“, gesteht Pablo Susinos. Der 52-jährige Bibliothekar aus einem Dorf bei Santander gehört dem regionalen Parteivorstand in Kantabrien an. „Die Auseinandersetzung ist sehr madrilenisch“, meint er. In den Provinzen sei davon wenig zu spüren. Er selbst hat gemischt gewählt: „Die Besten der drei Listen.“
Pilar Vaquero (52), Beamtin aus Madrid, hat sich im Streit auf eine Seite der „Pablistas“ geschlagen. Sie sieht in Iglesias neuer, mehr der herkömmlichen linken Politik zugewandte Politik, die Chance mittels sozialer Mobilisierungen „Wechsel in der Gesellschaft herbeizuführen“. „Einheit ja, aber keine falsche Einheit“, will sie ab Montag. Die Verlierer müssten sich unterordnen.
„Wenn unterschiedliche Meinungen zum Ausdruck gebracht werde, ist es nötig zuzuhören“, mahnt Mar Mas. Die 50-jährige Kapitänin und LGTBI-Aktivistin hat die Liste Errejón gewählt, weil Politik in den Institutionen nötig sei, um Vertrauen bei den Menschen zu schaffen, dass Podemos in der Lage sei, Spanien zu regieren. Mas mahnt:“Wir müssen uns zusammenraufen, denn wir haben eine große Verantwortung. Wir müssen Schluss machen mit der sozialen Ungerechtigkeit, der Korruption, der Regierung der PP und einer Sozialdemokratie, die keine ist.“
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Meine Meinung
Der Versuchung nicht erliegen
Der alte und neue Podemos-Generalsekretär, Pablo Iglesias, hat den zweiten Parteitag der gerade einmal drei Jahre alten Formation deutlich gewonnen. Ein nicht proportionales Wahlsystem tut den Rest. Im Vorstand halten die Seinen künftig 60 Prozent. Die Versuchung ist nun groß, kritische Stimmen zu isolieren. Während die Anwesenden auf dem Parteitag „Einheit“ forderten, redet so mancher hinter vorgehaltener Hand von völliger Unterordnung und gar von denen, die „zu viel“ seien.
Es ist jetzt an Iglesias, die Wogen wieder zu glätten, Elemente beider Kandidaturen in sein Programm aufzunehmen. Denn ein Podemos, das Politik und Stil der alten Linken kopiert, wie es Iglesias in den vergangenen Monaten nur allzu oft getan hat, wird an Zuspruch in der Bevölkerung verlieren. Hätten die Spanier in all den Jahren der Demokratie Kommunisten wählen wollen, hätten sie das getan. Mit der Vereinigten Linken (IU) bot sich eine exzellente Option. Aber es war Podemos, die es in kürzester Zeit schaffte, überall vertreten zu sein und gar die wichtigsten Städte des Landes mit Hilfe von Bürgerbündnissen zu regieren.
Ein Blick zurück, eine besonnene Analyse nach gewonnener innerparteilichen Schlacht, würde nicht schaden. Podemos steht dort, wo sie steht, dank einer transversalen Politik, die nicht auf Inhalte verzichtete, aber sehr wohl auf Etiketten. „Unten gegen oben“ statt „links gegen rechts“ – so wie es der unterlegene Politsekretär Iñigo Errejón weiterhin vertritt. Er war es, der die erfolgreichen Wahlkämpfe inhaltlich und strategisch gestaltete. Das Tandem Iglesias – Errejón ist das Geheimnis des Erfolges.
Sollten die Gewinner der Versuchung erliegen, die Verlierer und deren Positionen zu isolieren, wäre der zweite Anlauf, um in weiteren Städten, in Regionen und irgendwann in ganz Spanien zu regieren, wohl zum Scheitern verurteilt. Die Möglichkeit eines Wandels in Spanien wären für Jahrzehnte verspielt.