Was tun, wenn die Wirklichkeit zu Tage tritt? Verstecken. Das ist die Politik, die derzeit Marokko verfolgt. Seit drei Wochen leben rund 20.000 Sahauries in einem improvisierten Zeltlager unweit von El Aaiún, der Hauptstadt der seit 1975 von Marokko besetzten, ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara. Mit diesem „Camp der Würde“ fordern sie mehr soziale Gerechtigkeit und ein Ende der staatlichen Bevorzugung eingewanderter Marokkaner gegenüber der autochthonen Bevölkerung. Anders als bei den Demonstrationen in den vergangenen Jahren in El Aaiún selbst, steht die Forderung nach dem Rückzug der Besatzungsmacht Marokko und Unabhängigkeit des Gebietes an Afrikas Westküste, gegenüber der Kanarischen Inseln, nicht im Vordergrund. Dennoch ist das Zeltlager den marokkanischen Behörden ein Dorn im Auge.
Es wurde schnell von Armee und Polizei umstellt und von der Aussenwelt abgeschottet. Journalisten werden keine vorgelassen. Nur wenigen Reportern gelang die Reise zum „Camp der Würde“. Sie werden von sahrauischen Helfern verkleidet. Ein Turban, ein traditioneller Umhang, Sonnenbrille und dunkle Schminke im Gesicht sollen helfen an den Kontrollen vorbeizukommen. Der spanischen El País und der Berliner Zeitung gelang dies. Andere, wie die spanische El Mundo flogen auf, und wurden ausgewiesen. Sieben spanische Reportern kamen erst gar nicht bis nach El Aaiún. Sie wurden von der marokkanischen Fluggesellschaft Royal Air Maroc gehindert, in Casablanca den Flieger zu besteigen.
Auch arabische Medien bekommen es mit den Zensoren in Rabat zu tun. So wurde Ende Oktober das Büro des Senders Al Jazeera in Marokkos Hauptstadt geschlossen. Die Berichterstattung des panarabischen Fernsehens aus Qatar sei „unverantwortlich“ lautet die Begründung. Der Sender habe „ein falsches Bild von Marokko gezeichnet und die Interessen des Landes – vor allem was die nationale Einheit angeht – nachhaltig geschädigt“, heißt es weiter in einer klaren Anspielung auf die Berichterstattung über die besetzte Westsahara und das Protestcamp. Die marokkanischen Behörden haben mittlerweile ganze Arbeit geleistet. Am Studio des Senders wurden eiligst alle Hinweise auf den bisherigen Mieter entfernt.
Am vergangenen Mittwoch kam es schließlich zum Eklat. Marokkos Aussenminister Tayeb Fassi-Fihri beschimpfte auf einer Pressekonferenz anlässlich eines Madridbesuchs die spanische Presse. Sie würden „Wunsch und Wirklichkeit“ verwechseln. Sich zu verkleiden, um ins Camp zu gelangen, stehe „nicht im Einklang mit der journalistischen Ethik“. Marokko wolle mit dem Reiseverbot nicht die Information unterbinden, sondern für die Sicherheit der Journalisten gewährleisten. „Die spanische Presse ist frei und der Wahrheit verpflichtet“, hält der spanische Journalistenverband (FAPE) dem marokkanischen Minister entgegen.
Mit der Wahrheit freilich hält es Marokko nicht so genau. Um von den Meldungen aus dem umstellten „Camp der Würde“, in dem mittlerweile die Armee einen jungen Sahauri bei einer Kontrolle erschossen hat, abzulenken, inszenierte Marokkos Regierung mit Hilfe der offiziellen marokkanischen Nachrichtenagentur MAP eine Falschmeldung ganz besonderer Art. Die spanische Polizei habe in der nordafrikanischen Exklave Melilla einen jungen Marokkaner erschossen, hieß es dort am Samstag den 30. Oktober. Die Nachricht wurde dankbar von vielen marokkanischen Medien selbst dann noch weiterverbreitet, als sie eindeutig widerlegt worden war. Darauf angesprochen, wollte Aussenminister Fassi-Fihri die Meldung jedoch auch fünf Tage später nicht dementieren. „Vielleicht ist es nicht wahr“, erklärte er kurz und bündig, bevor er die Pressekonferenz in Madrid beendete./Fotos: Luis de Vega