Es war kein leichter Moment, den sich Frankreichs Präsident François Hollande für seinen Besuch in Algerien ausgesucht hatte. 2012 feiern die Algerier 50 Jahre Unabhängigkeit von Frankreich. Die Erwartungen an den französischen Staatschef waren entsprechend groß. Sein algerischer Amtskollege Abdelaziz Bouteflika verlangte im Vorfeld des 36-stündigen Staatsbesuchs immer wieder „eine offizielle Entschuldigung“ für die harte Repression und das Leiden, das der acht Jahre andauernde Befreiungskrieg (1954 bis 1962) über das Land gebracht hatte. Hollande blieb diese schuldig. Er sei nicht gekommen, „um Bedauern oder Entschuldigungen“ vorzubringen, sondern „um die Wahrheit zu sagen über die Vergangenheit (…) aber mit dem Willen, dass die Vergangenheit uns nicht daran hindert, für die Zukunft zu arbeiten“, erklärte Hollande gegenüber der Presse zu Beginn des Besuchs am Mittwoch.
© 2012 Reiner Wandler
Hollande stellt sich der schwierigen Vergangenheit
Das es dennoch kein Besuch wie jeder andere war, zeigte die Delegation. Noch nie in seiner Amtszeit war Hollande mit so vielen Begleitern gereist. Neun Minister und über 200 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur folgten ihm nach Algier, wo er von Tausenden jubelnder Menschen auf der Strecke vom Flughafen in die Innenstadt empfangen wurde. In einer Umfrage sprachen sich 57 Prozent der Algerier für eine „Normalisierung“ und für eine „bespielhafte Beziehung“ zu Frankreich aus. Auf der anderen Seite des Mittelmeeres sehen nur 35 Prozent den Zeitpunkt für eine Entschuldigung gekommen. 16 Prozent glauben gar, dass die Algerier bei den ehemaligen Kolonialisten um Verzeihung bitte müssten.
Hollande wusste um die Schwierigkeit seines Balanceaktes, als er am Donnerstag vor die beiden Kammern des algerischen Parlaments trat. Hier wurde er deutlicher. Doch die Worte „Verzeihung“ oder Entschuldigung“ fielen wieder nicht. Hollande bezeichnete „das System, dem Algerien 132 Jahre lang unterworfen war“, als „zutiefst ungerecht, brutal und zerstörerisch.“ „Die Aggressionen gegen die Bevölkerung, die Verneinung ihrer Identität und ihrer Hoffnungen frei zu leben“, seien durch nichts zu entschuldigen. „Ich erkenne hier die Leiden an, die die Kolonialisierung dem algerischen Volk zugefügt hat“, bekräftigte der französische Staatschef. Es sind die deutlichsten Worte, die ein Präsident der ehemaligen Kolonialmacht je gefunden hat.
Hollande hatte bereits im Oktober den Opfer der blutigen Repression gegen eine Demonstration für die Unabhängigkeit Algeriens in Paris gedacht. Damals, am 17. Oktober 1961, gingen in der französischen Hauptstadt Zehntausende von algerischen Einwanderern friedlich in Solidarität mit der Bewegung in ihrer Heimat auf die Straße und bekamen es, wie ihre Landsleute zu Hause auch, mit den Waffen der französischen „Sicherheitskräfte“ zu tun. Zwischen 50 und 200 Demonstranten – die genaue Zahl ist bis heute nicht bekannt – kamen dabei ums Leben. 400 sollen verschwunden sein. Augenzeugen des Massakers berichten von Leichen, die überall in der Seine schwammen.
Vor den beiden algerischen Kammern streckte Hollande den Algerien die Hand zur „einem Freundschaftsabkommen“ entgegen. Er versprach Visa-Erleichterungen für algerische Studenten, regte ein Austauschprogramm an, brachte Wirtschaftsabkommen, wie die Errichtung einer Renault-Fabrik in Oran unter Dach und Fach. Außerdem wurde eine engere Zusammenarbeit gegen die klandestine Immigration nach Europa und bei der Bekämpfung der Islamisten in Algeriens Nachbar Mali vereinbart.
Während die französische Rechte, allen voran die Front National, den Auftritt Hollandes in Algier verurteilte, zeigte sich der algerische Aussenminister, Mourad Medelci, zufrieden: „Die Botschaft an die algerische Nation ist wichtig, weil es ihm, um den Kern der Vergangenheit und um die Zukunft geht.“ Doch auch in Algerien wurde Kritik laut. Zwölf kleinere Parteien, darunter vier islamistische Formationen, beklagten die „ablehnende Haltung der französischen Autoritäten, die Verbrechen des kolonialen Frankreichs in Algerien anzuerkennen, um Entschuldigung zu bitten, und eine moralische oder materielle Entschädigung anzubieten“.
Auf die Frage in einem Interview bei France 2, warum er sich nicht entschuldige, obwohl er das doch als er noch die Opposition gegen seinen Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy anführte, immer wieder eingefordert habe, antworte Hollande: „Ich bin Präsident Frankreichs. Ich bin Frankreich verpflichtet und nicht einer Partei.“