© 2019 Reiner Wandler

Europa beginnt in den Gemeinden

In Spanien redet kaum jemand über die Europawahlen. Und doch erwarten die Meinungsforschunger eine Wahlbeteiligung, die weit über EU-Schnitt liegen wird. Der Grund ist nicht etwa die Europabegeisterung der Spanier. Sie hat nach Jahren der Austeritätspolitik deutlich abgenommen. Schuld ist vielmehr der „Superwahlsonntag“. Denn am 26. Mai werden nicht nur die 54 Abgeordneten für Straßburg gewählt, sondern in großen Teilen des Landes die Regionalregierungen und in den über 8000 Kommunen Spaniens die Gemeinde- und Stadträte und damit die BürgermeisterInnen.

Das mobilisiert die Wähler vor allem in den großen Städten. Viele von ihnen zählen seit 2015 zu den sogenannten „Rathäusern des Wandels“. Sie werden von BürgermeisterInnen regiert, die aus linksalternativer Bürgerlisten rund um Podemos stammen; allen voran die ehemalige Richterin Manuela Carmena (75) in Madrid und die Aktivistin gegen Zwangsräumungen Ada Colau (45) in Barcelona. Beide wollen ihr Amt verteidigen, und für beide wird es knapp. Das mobilisiert Anhänger und Gegner gleichermaßen an die Urnen.

In Madrid zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Carmenas Linksalternativen, die zusammen mit den Sozialisten die Mehrheit halten, und einer Koalition aus der konservativen Partido Popular, den rechtsliberalen Ciudadanos und der ultrarechten Vox ab.

Die Bürgermeisterin hat eigens für die Wahlen eine neue Bürgerliste rund um ihre bisherige Regierungsmannschaft gegründet. „Más Madrid“ (Mehr Madrid – MM) besteht aus Teilen von Podemos, Mitgliedern der grünen Equo sowie unabhängigen Aktivisten aus allerlei Bewegungen. Aussen vor blieben Antikapitalisten und Kommunisten sowie eine Gruppe kommunalpolitischer Aktivisten mit denen sich Carmena in den vier Jahren ihrer Amtsführung überworfen hatte.

MM tritt auch in den restlichen Gemeinden der Region Madrid sowie bei den Regionalwahlen an. Ihr regionaler Spitzenkandidat ist Iñigo Errejón (35), einst Nummer 2 von Podemos. Er – und mit ihm rund 40 Prozent der Madrider Basis – haben die Partei verlassen, nachdem sie sich mit der der Vereinigten Linken und damit mit der Kommunistischen Partei zu „Unidas Podemos“ zusammentat und seither immer stärker einen traditionell linken Diskurs pflegt. Innerparteiliche Kritiker werden kaltgestellt.

Madrid. Chotis para Manuela

Hay que armar la tremolina! Estamos en la semana final y tenemos que pedir el voto con insistencia. Que nadie se quede en casa, muy poco votos pueden dar el ayuntamiento y la comunidad al trifachito. Compartid e insistid. Desde este enlace os podéis descargar el archivo para compartirlo por WhatsApp: https://we.tl/t-6Fa6pP9RRT

Gepostet von Más-Madrid con Manuela am Dienstag, 21. Mai 2019

 

MM versucht wieder zu beleben, was einst Podemos ausmachte. Statt um „links und rechts“ geht es in den Wahlkampfreden wieder um „oben und unten“. Statt linker Bekenntnisse um „den gesunden Menschenverstand“, wie ihn einst die Empörtenbewegung propagierte. Carmena und Errejón werben um junge Menschen, um WählerInnen mit ökologischem und feministischem Selbstverständnis, um Immigranten sowie um die in Madrid sehr starke LGTBI-Bevölkerung.

All diesen Kollektiven ist eines gemein. Sie haben Angst vor einem Rechtsbündnis, das droht die Errungenschaften der letzten Jahre einzuschränken. So wollen die drei Rechtsparteien die Stadt wieder für den Privatverkehr öffnen, im Gesundheits- und Bildungsbereich weiter privatisieren, Steuern für Besserverdienende senken und die alljährliche größte LGTBI-Parade Europas aus der Innenstadt verbannen.

MM setzt auf einen ungewöhnlichen Wahlkampf. Obwohl ein Großteil der Kandidaten bereits im Stadtrat und im Regionalparlament sitzen, stuft die Wahlbehörde die Liste als neue Partei ein. Damit darf sie keine Wahlplakate an Straßenlaternen aufhängen. Als dies bekannt wurde, meldeten sich in nur wenigen Tagen über 20.000 Bürger und stellten ihre Balkone zur Verfügung. Dort prangen jetzt die Bilder von Carmena und Errejón. Die Transparente werden per Crowdfunding finanziert; der restliche Wahlkampf mittels Minikrediten, die Bürger gewähren.

Wer durch die Straßen Madrid läuft und nach Wlan (Wifi) sucht, stößt immer häufiger auf Netze mit dem Namen #VotaMásMadrid (Wähle Más Madrid). „Digitaler Balkon“ nennt dies das junge Wahlkampfteam von Carmena und Errejón. Anleitungen um den Namen des heimischen Router zu ändern, zirkulieren auf Twitter und Facebook.

MM hat laut Umfragen damit Erfolg. Carmena dürfte Stadtoberhaupt bleiben und die Sozialisten könnten zusammen mit MM und Podemos gar erstmals seit 1995, die rechte Regionalregierung ablösen. Errejón findet weit über den Kreis der von Podemos Entäuschtern hinaus Zustimmung.

Ada Colau in Barcelona muss ihren Posten nicht gegen die Rechte verteidigen sondern gegen die Befürworter der Unabhängigkeit Kataloniens, und dort gegen die Republikanische Linke Kataloniens (ERC). In Umfragen liegt Colaus Liste Barcelona En Comú (Barcelona Gemeinsam) mit ERC gleich auf. Der ehemalige französische Ministerpräsident Manuel Valls, der für die rechtsliberalen Ciudadanos antritt, liegt weit abgeschlagen noch hinter den Sozialisten, die als Zünglein an der Waage fungieren könnten, auf Patz 4.

Was bisher geschah: