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Katalanen im Hungerstreik

Jordi Sànchez und Jordi Turull

Zwei der neun inhaftierten katalanischen Unabhängigkeitsaktivisten sind am Samstag früh in einen unbefristeten Hungerstreik getreten. Der ehemalige Vorsitzende der Katalanischen Nationalversammlung Jordi Sànchez, und der ehemalige Minister und Sprecher der katalanischen Regierung Jordi Turull, protestieren damit gegen das spanische Verfassungsgericht. Das verschleppe absichtlich alle Einsprüche der Gefangenen im Rahmen des Ermittlungsverfahren wegen „Aufstand“, „Rebellion“ und „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober vergangenen Jahres.

Die Abstimmung wurde trotz eines Verbotes durch die Zentralregierung in Madrid durchgeführt. Die Hauptverhandlung gegen 18 Politiker und Aktivisten wird im neuen Jahr vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid beginnen. Den Angeklagten unter denen sich zahlreiche Minister des ins Ausland geflohene ehemalige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont befinden, drohen – so die Forderung der rechtsradikalen Partei VOX, die als Nebenklägerin auftritt – bis zu 55 Jahre Haft. Die Staatsanwaltschaft fordert bis zu 25 Jahre. Sànchez und Turull wurden im vergangenen Dezember ins katalanische Parlament gewählt. Beide kandierten für den Posten des Regierungschefs und scheiterten an richterlichen Entscheidungen. Turull wurde unmittelbar nach der Parlamentsabstimmung inhaftiert.

„Wir wollen keine Sonderbehandlung aber auch keine Diskriminierung“, heisst es in einem Kommuniqué der beiden Hungerstreikenden. Insgesamt haben die Anwälte der Angeklagten ein Dutzend Beschwerden beim Verfassungsgericht eingelegt. Das hat alle akzeptiert aber bis heute keine Entscheidung gefällt. Normalerweise lässt das Verfassungsgericht nur rund 1,5 Prozent der Klagen zu.

„Das Verfassungsgericht blockiert uns“, beschweren sich Sànchez und Turull. Gegen Urteile des Obersten Gerichtshofs kann keine Berufung eingelegt werden. Der Gang nach Europa ist damit der einzige Weg der bleibt. Und dieser ist verbaut, solange das spanische Verfassungsgericht nicht entschieden hat. So sieht es die europäische Justiz vor. Die erste Beschwerde datiert vom 22. November vergangenen Jahres.

Unter anderem haben die Angeklagten mehrere Richter als befangen abgelehnt, weil sie der einstigen, konservative Regierungspartei Partido Popular (PP) unter deren Amtszeit das Referendum und der beginn der Strafverfolgung fiel, nahe stehen oder ganz direkt angehört haben, darunter der Vorsitzende der zuständigen Kammer am Obersten Gerichtshof Manuel Marchena. Im Extremfall könnten sie ein Urteil fällen, bevor das Verfassungsgericht die Befangenheitsanträge prüft.

Über 160.000 Menschen haben sich in nur 24 Stunden per Online-Petition mit den Sànchez und Turull solidarisiert. Neben den katalanischen Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, stellte sich auch die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau und ihre linksalternative „En Comú“ hinter die Hungerstreikenden.

Der in Madrid regierende Sozialist Pedro Sánchez zeigt keinerlei Verständnis für die Aktion. „Es gib keine Gründe für den Hungerstreik, sie werden ein gerechtes Verfahren haben“, lautet seine Reaktion. Die Debatte um die Gefangenen droht die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der spanischen Nach-Franco-Verfassung am 6. Dezember zu überschatten.

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