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Angeklagt und ausgereist

Die spanische Generalstaatsanwaltschaft eröffnete am Montagmorgen gegen den abgesetzten Chef der katalanischen Regierung „Generalitat“, Carles Puigdemont, seine gesamtes Kabinett sowie gegen vier Mitglieder des Präsidiums des Autonomieparlamentes ein Verfahren wegen „Rebellion, Aufstand und Veruntreuung“. Nur wenig später wurde bekannt, dass Puigdemont und fünf seiner Minister auf dem Weg nach Belgien sind. Puigdemont sei „an einem sicheren Ort“, und werde am Dienstag eine Erklärung abgeben, hieß es später im katalanischen Fernsehen. „Ein exilierter Präsident einer Republik ist eine schwere Anklage gegen Spanien“, erklärte der Abgeordnete im aufgelösten Autonomieparlament und bekannte Liedermacher Lluis Llach.

Jubelspanier vor der Generalitat in Barcelona

Belgien ist eines der europäischen Länder, die Auslieferungsanträge am meisten prüfen und immer wieder ablehnen. Am Wochenende hatte der belgische Staatssekretär, der Flame Theo Francken, angedeutet, dass Puigdemont durchaus Asyl in Belgien bekommen könnte.

Laut Generalstaatsanwalt José Manuel Maza haben die Angeklagten mit der Durchführung des Referendums am 1. Oktober und der Ausrufung der Unabhängigkeit Kataloniens am vergangenen Freitag, „mit absoluter Verachtung gegenüber der Verfassung gehandelt“. Puigdemont und seine Minister werden vor dem Madrider Sondergerichtshof für Terror, Banden- und Finanzkriminalität, der Audiencia Nacional, angeklagt. Parlamentspräsidentin Carme Forcadell und ihre drei Kollegen vor dem Obersten Gerichtshof, da sie weiterhin parlamentarische Immunität genießen und somit nur dort abgeurteilt werden dürfen. Sollte die Beschuldigten verurteilt werden, drohen ihnen alleine wegen „Rebellion“ bis zu 30 Jahre Haft. Die Staatsanwaltschaft beantragte bisher keine Haftbefehle, verlangt aber 300.000 Euro Kaution pro Angeklagtem.

Der Montag war der erste Tag an dem Kataloniens Verwaltung nach der Absetzung der Autonomieregierung mit Hilfe des Verfassungsartikels 155 unter dem Kommando der Madrider Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy stand. Alles verlaufe normal, hieß es von Seiten Madrids. Wie der Tag von Puigdemont aussah, ist nicht klar. Am frühen Morgen veröffentlichte er auf Instagram ein Foto, aufgenommen aus einem der Fenster des Regierungspalastes der Generalitat. „Bon día“ und ein Smiley begleiteten es. Ob sich der „President“ trotz der Amtsenthebung tatsächlich in sein Büro gegangen war, oder ob das Bild älter ist, war nicht klar. Keiner der hunderte Journalisten vor dem Gebäude hatte ihn hineingehen sehen.

Das Wochenende hatte Puigdemont in Girona, der katalanischen Provinzhauptstadt verbracht, in dem er einst Bürgermeister war und er mit seiner Familie lebt. Er hielt eine TV-Ansprache in der er die Bevölkerung zur „demokratischen Opposition“ rief, ließ sich auf dem Stadtfest filmen und meldete sich per Twitter zu Wort, als sein Club, der Aufsteiger FC Girona, überraschend gegen den nicht nur in Katalonien verhassten Hauptstadtverein Real Madrid gewann. „Der Sieg von Girona über eine der größten Mannschaften der Welt ist ein Beispiel und eine Referenz für viele Situationen“, schrieb Puigdemont begeistert.

Von den restlichen Mitglieder der Regierung, gegen die ebenfalls Klage wegen Rebellion erhoben wurde, erschien nur einer kurz an seinem alten Arbeitsplatz und veröffentlichte das Foto in den sozialen Netzwerken. Die anderen blieben fern. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil Madrid angekündigt hatte, dass wer seinen alten Platz einnehme wegen „Amtsanmassung belangt werde könne.

Größere Proteste gegen die neue Situation bleiben aus. Nur vor dem Gebäude der Vertretung der Generalitat in Puigdemonts Girona kam es zu einer Menschenkette, die von der Mitarbeiterversammlung beschlossen worden war. Rund 1000 Menschen umkreisten den Komplex, um zu zeigen, dass sie „den 155 kategorisch ablehnen“. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift „SOS Demokratie“.

Von den angeklagten „Rebellen“ arbeitete nur die Präsidentin des katalanischen Parlaments Carme Forcadell normal weiter. Anders als die Regierung ist sie noch im Amt. Das Parlament wurde zwar von Rajoy in Madrid aufgelöst und Neuwahlen für den 21. Dezember angesetzt, doch Forcadell gehört der ständigen Vertretung an, die bis zum Wahltag regelmässig tagt. Allerdings beugt sich auch Forcadell den Zwangsmaßnahmen aus Madrid. Sie sagte alle Sitzungen des Präsidiums und damit auch die regulären Plenarsitzungen ab.

Was bisher geschah: