© 2017 Reiner Wandler

Gefangen im Labyrinth

„Unabhängigkeitsbewegung in Trance“, titelte die katalanische Tageszeitung El Periódico auf ihrer Internetseite und traf es damit auf den Punkt. Nach den Feiern am Freitag, als das katalanische Autonomieparlament die Unabhängigkeit Kataloniens verabschiedete, herrscht – mit Ausnahme einer Großdemonstration für die Einheit Spaniens am Sonntag in Barcelona – Ruhe. Denn der letzte Zug der Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy kam unerwartet und sass.

Er enthob nicht nur mit dem Verfassungsartikel 155 in der Hand – wie zu erwarten war – die gesamte katalanische Regierung unter Carles Puigdemont ihres Amtes, er löste auch das Autonomieparlament auf und setzte für den 21. Dezember Neuwahlen an. Die Strategie der Unabhängigkeitsbewegung Madrid in einen langanhaltenden Konflikt „Zentralregierung gegen zivilen, katalanischen Ungehorsam“ zu verstricken, ist damit hinfällig. „Multiples Organversagen“ attestiert El Periódico der Unabhängigkeitsbewegung.

Ob Mitglieder der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) oder von Òmnium, die das Rückgrat der Unabhängigkeitsbewegung stellen, wissen nicht zu sagen, was jetzt passieren wird. Demonstrationen, Blockaden, Generalstreik … auf all das waren sie eingestellt, nur es fehlt an Aufrufen. Die Vorstände beraten, und es sickert nichts nach draussen.

Auch bei den Parteien herrscht Krise. Die Neuwahlen erwischen sie auf dem falschen Fuss. Puigdemonts eher konservativen Demokratisch Europäischen Partei Kataloniens (PDeCat) wollte eigentlich nicht erneut gemeinsam mit der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) von Vize Oriol Junqueras im Bündnis „Gemeinsam für das Ja“ (JxSí) antreten. Jetzt könnte dies unumgänglich werden, um die Mehrheit im Parlament zu verteidigen. Die Entscheidung muss bald fallen. Listen müssen bis spätestens am 6. November eingeschrieben werden.

Die Wahlen stellen die Unabhängigkeitsbewegung vor ein grundlegendes Problem. Sie werden von Madrid organisiert. Eine Beteiligung käme der Anerkennung der spanischen Legalität und damit einer Absage an die so eben verkündete unabhängige Katalanischen Republik gleich. Aber ein Wahlboykott birgt die Gefahr zur völligen Belanglosigkeit zu verkommen. Die katalanische Presse berichtet von der Suche nach „einfallsreichen Lösungen“. Eine „Bürgerliste gegen den 155“ mit bekannten Persönlichkeiten sei im Gespräch. Doch eine Mehrheit ist nur möglich wenn die antikapitalistische Kandidatur der Volkseinheit (CUP) mitmacht. Und die neigt zum Boykott.

Eine solche Bürgerliste würde auch zur Ansprache Puigdemonts vom Samstag passen. Der abgesetzte „President de la Generalitat“, wie sein offizieller Titel lautet, reiste nach der Unabhängigkeitserklärung nach Girona wo er einst Bürgermeister war. Dort genoss er auf dem Stadtfest ein Bad in der Menge, ließ sich beim Weintrinken und Essen filmen. Mit ihm reiste das offizielle Rednerpult. Mit einer katalanischen und einer europäischen Fahne an der Seite rief per Fernsehen nicht etwa zum „Ungehorsam“ sondern zur „demokratischen Opposition“. Alles was Madrid auf der Grundlage des mit dem 155 tue „seien Entscheidungen, die dem Willen, den die Bürger unseres Landes an den Urnen zum Ausdruck gebracht haben, widersprechen“, erklärte Puigdemont, der sich weiter als „President“ sieht.

Alles was Puigdemont fortan mache sei nur noch gerichtlich verwertbar, lautete die Antwort aus Madrid. Die spanischen Generalstaatsanwaltschaft wird am Montag Klage wegen „Rebellion“ gegen Puigdemont und seine Regierung einreichen. Darauf stehen bis zu 30 Jahre Haft. Festnahmen und Untersuchungshaft sind nicht auszuschließen. Der belgische Staatssekretär für Einwanderung, der Flame Theo Francken erklärte, sein Land könne Puigdemont aufnehmen, falls er ins Exil gehe.

Während die Unabhängigkeitsbewegung noch über die Wahlbeteiligung berät, riefen Hunderttausende in der Innenstadt von Barcelona „Wir werden wählen“. Sie schwenkten spanische und auch katalanische und europäische Fahnen und demonstrierten für die Einheit Spaniens. Laut Stadtpolizei folgten 300.000 Menschen dem Aufruf der Organisation mit dem Namen „Katalanische Zivilgesellschaft“ (SCC). Die Regierung in Madrid zählte 1,3 Millionen. Einer der Hauptredner war der ehemalige Präsident des Europaparlaments, der spanisch-katalanische Sozialist, Josep Borrell. Die Demonstranten riefen immer wieder: „Puigdemont ins Gefängnis.“

Was bisher geschah: