© 2017 Reiner Wandler

Madrid ist stolz

 

Madrids Ampeln verkünden es seit Wochen. Die spanische Hauptstadt ist Gastgeber des diesjährigen LGTBI World Prides – des festiven Wochenendes, für die rechtliche Gleichstellung Homosexueller beiderlei Geschlechter, Trans-, Bi- und Intersexueller. Rote Männchen, grüne Frauchen, Hetero- und Homopärchen leuchten an den Fußgängerüberwegen. „Egal wen du liebst. Madrid liebt dich“, heißt das Motto, das die Ampeln unterstreichen sollen. Über zwei Millionen Menschen aus aller Welt sind angereist. Heute (Samstag) wird ein Umzug mit Dutzenden von Karossen Madrids Innenstadt in ein buntes, tolerantes Menschenmeer verwandeln.

Vom Rathaus hängt eine übergroße Regenbogenfahne, das Symbol der LGTBI-Bewegung. Bürger aus Madrid, Touristen und Prominente haben sie in den letzten Monaten handgeknüpft. Die Idee davon stammt von der in Madrid regierenden Bürgerliste Ahora Madrid rund um die junge Protestpartei Podemos und die unabhängigen Bürgermeisterin Manuela Carmena. „Es ist das erste Mal, dass die Bürger einen Fahne aus über 100.000 Bändchen selbstgeknüpft haben. Das zeigt wie sehr die Stadtverwaltung die Menschen zusammenführt“, erklärt die 73-jährige, ehemalige Richterin stolz. „Madrid, Stadt der Liebe“ taufte Carmena die spanische Metropole für das World Pride Wochenende. Um den Namen hat sie förmlich bei ihrer Kollegin in Paris angefragt. Die dortige Bürgermeisterin Ana Hidalgo, Tochter spanischer Auswanderer, hat dem stattgegeben.

Für die Spanier ist es ein ganz besonderer „Orgullo“ („Stolz“) – wie der Christopher Street Day hier genannt wird. Vor genau 40 Jahren gingen Spaniens Schwulen und Lesben in Barcelona erstmals für ihre Rechte auf die Straße. Diktator Francisco Franco war noch keine zwei Jahre tot. Homosexualität wurde noch immer als „soziale Gefahr“ per Gesetz verfolgt. Hunderte hatten das Gefängnis kennengelernt. Seither ist viel geschehen. Nach und nach erreichte die Homosexuellen ihre rechtliche Gleichstellung. Das katholische Spanien war 2005 eines der ersten Länder, das die Homoehe legalisierte. Der World Pride ist so etwas wie eine Ehrung diesen langen Weges.

Trotz aller feierlichen Töne aus der Stadtverwaltung hat sich dort vor allem eines breit gemacht: Sorge um die Sicherheit. Kein World Pride zuvor stand so unter dem Zeichen der Terrorgefahr, wie der in Madrid. Seit Tagen gilt ein LKW-Fahrverbot in der Innenstadt. Die Schauplätze des World Prides sind weitläufig abgeriegelt. Nur wer an Kontrollpunkten seine Tasche durchsuchen lässt, darf hinein. Wer auf einer der Karossen am Umzug teilnimmt, wurde zuvor durch den Polizeicomputer gejagt. Während des Umzuges sollen, so Gerüchte, Scharfschützen auf den Dächern postiert sein.

Madrid lässt sich die Feierstimmung dennoch nicht vermiesen. Auf fünf großen Bühnen auf den wichtigsten Plätzen der Stadt finden seit Donnerstag Konzerte statt. Im Schwulen und Lesbenviertel Chueca ist es so gut wie unmöglich sich zu bewegen. In der Innenstadt gibt es kaum eine Kneipe, kaum ein Geschäft, das dieser Tage nicht die Regenbogenfahne an der Fassade hängen hat. Großen Marken und Konzerne haben überdimensionale Werbeplakate aufgehängt, auf denen sie ihre Toleranz bekunden.

Längst nicht alle sind zufrieden mit der Entwicklung, die ihr „Orgullo“ – ihr Christopher Street Day – nimmt. Ein alternativer Umzug, in Form einer bunten Demonstration – zog bereits am Donnerstag durch Madrid. Tausende, meist junge Menschen aus der LGTBI-Szene sowie einige VeteranInnen der Bewegung gaben ihrer Ablehnung des „kapitalistischen ‚Orgullo‘“, wie sie den World Pride abschätzig nennen, Ausdruck.

Auf einem der Transparente stand: „Der erste Christopher Street Day war ein Aufstand.“ Das war vor 48 Jahren als sich Schwule in New York vor einer Kneipe gegen Polizeiübergriffe zur Wehr setzten. In zwei Jahren wird der nächste World Pride in New York den fünfzigsten Jahrestag dieses Ereignisses feiern.

Was bisher geschah: