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Wenig Lust auf Wahlen

Die Algerier sind an die Urnen gerufen. Am 4. Mai wird ein neues Parlament gewählt. Niemand zweifelt daran, dass einmal mehr mit der historischen Nationalen Befreiungsfront (FLN) und deren Abspaltung, die Nationale Demokratische Versammlung (RND), die beiden Parteien gewinnen, die seit Jahrzehnten das Geschick des nordafrikanischen Krisenlandes lenken. Die Sorge der Mächtigen im Lande ist eine ganz andere. Die Wahlbeteiligung und damit die Legitimität des Urnengangs. Seit dem 9. April ist Wahlkampf. 63 Parteien treten an. Doch in den großen Städten des Landes sind die Veranstaltungen nur spärlich besucht.

Wenn überhaupt, dann sind es die Anekdoten der Wahlkampagne, die die Menschen interessieren. Eine davon ist das Thema „Geisterfrauen“. Mehrere Islamistische Parteien haben auf ihre Plakaten die Gesichter der Kandidatinnen per Photoshop wegretuschiert. Was zurückbleibt ist ein Kleid und ein Kopftuch. Die Wahlkommission schritt ein und verlangte von den Parteien, die Plakate zu ändern, die Wähler hätten ein Recht darauf zu sehen, wem sie ihre Stimme anvertrauen.

Per Gesetz sind die Parteien dazu verpflichtet, mindestens 30 Prozent Frauen auf ihren Listen und später im Parlament zu haben. In der zu Ende gegangenen Legislaturperiode waren knapp 31 Prozent Frauen in der nationalen Volksversammlung. Nirgends in Nordafrika sind die Frauen so stark vertreten wie in Algerien. In tritt erstmals für die kleine ANF gar eine Liste an, die nur aus Frauen besteht.

Seit jenen ersten freien Parlamentswahlen 1991/1992 geht die Lust der Wähler, ihre Stimme abzugeben ständig zurück. Damals gewann die Islamische Heilsfront (FIS) im ersten Durchgang. Vor dem zweiten Durchgang brach die Armee die Wahlen ab. Die FIS wurde verboten. Das Land versank in einem zehn Jahre dauernden blutigen Krieg, der rund 200.000 Menschen das Leben kostete.

Bei den letzten Parlamentswahlen 2012 lag die Wahlbeteiligung bei 43 Prozent, und das war – so zahlreiche Beobachter – eine beschönigte Zahl. Algeriens Bevölkerung steckt in einer tiefen Depression. Zwar hat sich die Sicherheitslage in den letzten 15 Jahren deutlich verbessert, doch die wirtschaftliche und soziale Sitaution kaum. Das Parlament hat nicht wirklich was zu sagen. Eine starke Opposition gibt es nicht. Die Islamisten, die einst große Massen hinter sich vereinten sind weiterhin verboten. Diejenigen, die unter dem Markenzeichen Islam antreten, unterstützten immer wieder die regierende FLN und sind somit weitgehend diskreditiert. Das nichtreligiöse Lager zerfällt in unzählige Parteien.

Und dennoch sind die Wahlen diese Mal so etwas wie eine Premiere. Es ist der erste Urnengang der nicht unter der Kontrolle des übermächtigen Geheimdienstgenerals Mohamed Lamine Mediène „Toufik“ stattfinden. Dieser wurde 2015 von Präsident Abdelaziz Bouteflika in den Ruhestand geschickt. Einige Oppositionsparteien versprechen sich davon sauberere, demokratischere Wahlen. Und eine Verfassungsrevision aus dem vergangenen Jahr räumt dem Parlament mehr Kompetenzen ein, die Opposition in der Nationalen Volksversammlung wird gestärkt. Ein Oppositionsbündnis, das bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2014 entstand, um Reformen zu fordern, zerbrach jetzt an der Frage der Teilnahme an den Wahlen.

Mehrere Partei, die bisher immer wieder zum Boykott gerufen hatten, nehmen am 4. Mai teil. Allen voran die Versammlung für Demokratie und Kultur (RCD), die vor allem in der Kabylei, Region der Berberminderheit, stark ist. Es geht den Parteien darum Präsenz zu zeigen. Denn spätestens 2019 stehen Präsidentschaftswahlen an, wenn der schwerkranke Staatschef Abdelaziz Bouteflika sich nicht bereits zuvor zurückzieht.

 

Was bisher geschah: