Der bloße Verdacht eines Polizeibeamten reichte, um die beiden jungen Tunesier, Achref (20) und Sabri (21) am Freitag zu acht Monaten Haft zu verurteilen. Ihnen wird vorgeworfen, sie seien schwul. „Du hast etwas mit deinem Liebhaber angestellt“ und „Ihr seit ein Fluch für dieses Land“, schimpfte der Beamte, der sie am vergangenen 7. Dezember im Mittelmeerort Sousse verhaftete. Auf der Wache wurden die beiden geschlagen und misshandelt. Am 13. Dezember wurden sie schließlich bis zum Verfahren freigelassen.
Ausserdem wurde auf der Wache an den beiden die in mehreren afrikanischen Staaten übliche Analuntersuchung durchgeführt. Dabei mussten sie sich mit heruntergelassener Hose, wie „zum Gebet“ hinknien. Der Test, der von vielen Menschenrechtsorganisationen als „völlig entwürdigend“ und sogar als Folter gebrandmarkt wird, verlief negativ. Dennoch wurden Achref und Sabri jetzt als Homosexuelle verurteilt. Bis zum Berufungsverfahren sind die beiden weiterhin auf freiem Fuss.
Achref und Sabri sind kein Einzelfall im Geburtsland des arabischen Frühling. Der Paragraf 230 des tunesischen Strafrechts, der noch aus der französischen Kolonialzeit stammt, verfolgt homosexuelle Handlungen mit Haftstrafen von bis zu drei Jahren. Trotz umfassender Reformen des Strafgesetzbuches nach der Revolution von 2011 ist dieser Paragraf weiterhin in Kraft.
Laut Menschenrechtsorganisationen werden pro Jahr rund 60 bis 70 vermeintliche Homosexuelle unter der Anschuldigung des Paragrafen 230 festgenommen. Die meisten wandern für einen bis vier Monate hinter Gitter. 2015 wurden sechs junge Männer zur Höchststrafe von drei Jahren Haft sowie 5 Jahre Verbannung aus ihrer Heimatstadt Kairuan verurteilt.
Eine Abschaffung des Paragrafen ist nicht in Sicht. Die Regierung beruft sich auf die Religion und die konservative Einstellung vieler Tunesier. „Ich denke, es ist kein Problem Konservatismus der Gesellschaft, sondern eine Frage des politischen Willens“, erklärt der Anwalt Munir Baatour. Er ist Vorsitzender von Shams (arabisch für Sonne), eine Organisation, die für LGTB-Rechte streitet.
Baatour verweist darauf, dass in Tunesien nach der Unabhängigkeit die Abtreibung freigegeben und die Polygamie verboten, sowie das Recht auf Scheidung für Frauen eingeführt wurde, obwohl die Gesellschaft damals noch konservativer war als heute. Die Shams-Mitglieder sind immer wieder Opfer öffentlicher Anfeindungen und selbst von Morddrohungen. Der ehemalige stellvertretende Shams-Vorsitzende Ahmed Ben Amor hielt den Druck vergangenen Sommer nicht mehr aus und versuchte Selbstmord. Er überlebte zum Glück.
Auch in Deutschland sorgt die Lage der Homosexuellen in Tunesien für Debatten. Der Bundestag hatte das nordafrikanische Land als „sicheres Herkunftsland“ eingestuft, in das Flüchtlinge abgeschoben werden dürfen. Die Bundesregierung und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gehen davon aus, dass in Tunesien keine systematische Verfolgung von Homo- und Transsexuellen stattfindet. Das „Queer Refugees Network Leipzig“ beschwerte sich im Januar, dass kein einziger der von ihnen betreuten Asylbewerber aus Tunesien anerkannt worden war. Der Bundesrat kippte am vergangenen Freitag die Einstufung Tunesiens als „sicher“.