© 2016 Reiner Wandler

Zerreißprobe bei Podemos

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Es ist vorbei mit der Einheit bei Podemos. Die 2014 zu den Europawahlen gegründete Partei, die mittlerweile mit 71 Abgeordneten drittstärkste Partei im spanischen Parlament ist, bereitet ihre zweite „Bürgerversammlung“ – den Parteitag – für das zweite Februarwochenende vor. Die beiden wichtigsten Strömungen, die um Generalsekretär Pablo Iglesias und die um Politiksekretär Iñigo Errejón streiten über alles. Weder bei der künftigen Parteistrategie noch bei wichtigen Verfahrensfragen sind sie sich einig. Bis heute um Mitternacht werden die auf der Podemos-Web eingeschrieben 400.000 Menschen erstmals entscheiden, mit wem sie eher übereinstimmen. Es geht um die Frage, wie der künftige Parteivorstand – der Staatliche Bürgerrat – gewählt wird. Weitere Abstimmungen sind geplant.

Zwei Verfahren stehen zur Wahl. Das eine, der Strömung rund um Iglesias, sieht einen Bonus an Vorstandsvertretern für die stärkste Liste vor. Das andere Verfahren ist rein proportional und bietet damit mehr Garantien für Minderheiten. Doch damit nicht genug: „Wir wollen Inhalte getrennt von den Personen diskutieren“, erklärt Errejón. Vor zwei Jahren, beim offiziellen Gründungsparteitag in der Madrider Stierkampfarena Vista Alegre war das so. Jetzt wollen Iglesias und die Seinen Programmatisches und Personelles verknüpfen. Iglesias nutzt seine Beliebtheit. Bisher erwägt niemand ernsthaft gegen den als alten und und wohl auch neuen Generalsekretär zu kandidieren, auch Errejón nicht.

Errejón sieht die Partei als Erbe der Empörtenbewegung 15M, die 2011 überall im Lande Plätze besetzte. Diese Bewegung sah sich „weder als links noch als rechts“. Es ging um soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie, weniger Korruption. Errejón hält am bisherigen „transversalen“ Diskurs von Podemos fest, schaut auf die Erfahrungen in Lateinamerika und spricht von „einer neue soziale Mehrheit“ mit „all denjenigen, die noch nicht den Weg zu uns gefunden haben“.

Iglesias hingegen setzt auf ein breites Linksbündnis. Viele sehen diese Strategie als gescheitert. Denn bereits bei den Wahlen im Juni traten Podemos und die postkommunistische Vereinigte Linke (IU) gemeinsam als Unidos Podemos an, um so die die sozialistische PSOE zu überholen und zur stärksten Kraft links der regierenden konservativen Partido Popular (PP) zu werden. „Sorpasso“ tauften sie diese Operation. Über fünf Millionen Wähler hatten bei den Wahlen im Dezember 2015 für Podemos gestimmt, eine Million für IU. Doch anstatt der erwarteten mehr als sechs Millionen waren es erneut nur etwas mehr als fünf Millionen. Eine Million WählerInnen waren zu Hause geblieben. So mancher Wähler von Podemos wollte keine Kommunisten wählen und vielen bei IU sahen Podemos als zu gemässigt an.

Iglesias Idee, die beiden Parteien nach und nach zu einer gemeinsamen Partei zusammenzuführen, stösst deshalb an der Basis auf Widerstand. Selbst aus dem engsten Umfeld des Generalsekretärs kommt Kritik. Ein Großteil der Podemos-Gründer stellen sich im Vorfeld des zweiten Parteitages hinter die Thesen von Errejón. Iglesias reagiert mit Entlassungen von bisherige Berater und Mitarbeiter aus dem Umfeld der Empörtenbewegung und umgibt sich zusehends mit ehemaligen Mitgliedern der kommunistischen Jugend.

„Podemos steht vor einer historischen Entscheidung“, warnen die beiden Universitätsprofessoren Germán Cano und Miguel Alvárez, die einst zum engen Umfeld von Iglesias gehörten und jetzt zu seinen Kritikern übergewechselt sind. „Entweder baut die Partei ihrer soziale Basis aus, dank der Wählerschaft, die sich von der PSOE im Stich gelassen fühlt, oder Podemos führt die ‚echte“ Linke zusammen, und konstruiert eine Strömung klar ‚links der PSOE‘, und lässt so Raum, der es den Sozialisten erlaubt sich zu erholen.“

Die Sozialisten stecken in einer tiefen Krise. Sie verhinderten eine Regierungsalternative nach den Wahlen vom Juni. Anstatt mit Unidos Podemos eine neue Regierungsmehrheit zu suchen, um die Sparpolitik zu beenden und schmerzhafte Eingriffe in die Arbeitsmarktgesetzgebung rückgängig zu machen, enthielten sich die Abgeordneten der PSOE bei der Abstimmung im Parlament und verschaffte dem konservativen Sparpremier Mariano Rajoy so eine weitere Amtszeit. Umfragen zeigen, dass viele sozialistische WählerInnen der PSOE dies nicht verzeihen. Die Sozialisten brechen ein, doch Podemos profitiert bisher kaum davon.

Was bisher geschah: