© 2014 Reiner Wandler

Die Generalprobe #9N2014

Miguel Roca

Trotz Nieselregen wollte Miguel Roca früh da sein. Als einer der ersten stimmte er am Sonntag in Mora la Nova über die Zukunft seiner Heimat Katalonien ab. „Sí! Sí!“ erklärt er stolz. „Wollen Sie, dass Katalonien ein Staat wird?“ – „Ja“, kreuzt er ohne zu zögern an. „Im Falle, dass sie zustimmen: Wollen sie, dass dieser Staat unabhängig ist?“ – „Ja“, lautet auch hier seine Antwort. „Ich bin für die Unabhängigkeit von Spanien, solange ich denken kann“, sagt der 46-jährige Elektroinstallateur.

Wie im 3000-Seelendorf Mora la Nova am Fluss Ebro stimmten die Katalanen in 942 der 947 Städten und Gemeinden Kataloniens ab. In 1317 Wahllokalen wurden 6695 Urnen aufgestellt. In den Städten bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. Vor allem das doppelte Ja wanderte in die Urnen. Wer gegen die Unabhängigkeit ist, blieb eher zu Hause.

Rechtlich verbindlich ist die Abstimmung nicht. Denn ein ordentliches Referendum, wie es die katalanische Autonomieregierung eigentlich einberufen wollte, wurde vom spanischen Verfassungsgericht auf Antrag der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy in Madrid gestoppt. „Die katalanische Regierung hat daraufhin einen Bürgerbeteiligungsprozess ins Leben gerufen“, berichtet Marta Meseguer. Die 54-jährige Informatiklehrerin steht einem der drei Wahltische in Mora la Nova vor.

„Generalprobe“ nennt El Periódico, eine der wichtigsten Zeitungen Kataloniens, die Abstimmung, die offiziell keine ist, auf ihrem Titelblatt vom Sonntag. „Alle Wahllokale werden von Freiwilligen betreut“, berichtet Meseguer. Sie gehört zur Katalanischen Nationalversammlung (ANC), einer Bürgerinitiative, die seit Jahren für die Unabhängigkeit Kataloniens mobil macht. „Es ist kein einziger Beamter beteiligt“, unterstreicht Meseguer, nicht von ungefähr mehrmals. Denn die Staatsanwaltschaft in Madrid hat die Polizei in Katalonien angehalten, die Verantwortlichen der Wahllokale festzustellen, um gegebenfalls Verfahren wegen eines Verstosses gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichtes einzuleiten. Vor allem dort, wo Schulen und Rathäuser für die Abstimmung genutzt werden, kann dies für Direktoren und Bürgermeister zu Problemen führen.

In Mora la Nova nutzen sie die Halle, in der einmal im Jahr eine große Landwirtschaftsmesse stattfindet. Der Bürgermeister des Ortes, in dem sowohl Gemeindeverwaltung als auch Opposition aus nationalistischen Parteien bestehen, will aus Vorsicht nicht mit der Presse sprechen, lässt er durch einen Sekretär erklären.

Spaniens Ministerpräsident Rajoy wetterte am Tag vor dem Urnengang: „Das ist weder ein Referendum noch eine Konsultation oder sonst etwas in der Art“ – und versicherte, „dass es keinerlei Effekt haben wird“.

Roca ist dennoch zuversichtlich, dass seine Stimme für etwas nutze ist und der Weg zur Unabhängigkeit schon bald gelingen wird. „Wer hätte vor fünf Jahren gesagt, dass wir einmal so stark werden?“ erklärt er. In den letzten Jahren wächst die Unabhängigkeitsbewegung unaufhörlich. Drei Mal hintereinander gingen am katalanischen Nationalfeiertag, dem 11. September, rund eine Million der 7,5 Millionen Katalanen für eine Loslösung von Spanien auf die Straße. „Unumkehrbar“ ist für Roca dieser Prozess. Er ist sicher, dass er die Unabhängigkeit schon bald erleben wird.

„Die Unabhängigkeitsbewegung ist so etwas wie die Mischung aus Empörung über die aktuelle Lage, wie auch im restlichen Spanien, plus die Verteidigung unserer Identität“, erklärt der 46-Jährige. Er redet von eigener Kultur, eigener Sprache, vom „Unternehmergeist der Katalanen“ und vom „In-den-Tag-Hineinleben“ der restlichen Spanier. Doch was ihn am meisten bewegt, ist die finanzielle Lage seiner Heimat. Roca rechnet wie alle Nationalisten vor, dass das reiche Katalonien mehr Steuern abführt, als später an zentralstaatlichen Dienstleistungen zurückkommt. „Jetzt in der Krise wurde das unerträglich“, denn ein unabhängiges Katalonien hätte weniger Kürzungen über sich ergehen lassen müssen. Roca träumt von einem anderen Land, gerechter, sozialer, mit einer nicht korrupten Politik.

„Ich hoffe, dass wir uns auch danach gut mit Spanien verstehen“, sagt er dann noch. Denn er hat Familie im restlichen Spanien. Seine Mutter kam mit 22 aus dem Süden nach Katalonien, sein Vater stammt aus Mora la Nova. „Ein Teil der Familie meiner Mutter redet nicht mehr mit uns, weil wir für die Unabhängigkeit sind“, sagt Roca. „Die sind einfach engstirnig“, lautet sein Urteil.

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