Der dichte Nebel war ihr Freund. Über 300 Immigranten, meist aus Mali und dem Senegal, überraschten am Dienstag früh die marokkanischen und spanischen Grenzschützer und überwanden den Grenzzaun zwischen Marokko und Melilla, einer der beiden spanischen Exklave in Nordafrika. Rund 200 weitere Flüchtlinge scheiterten. Es war der größte Massenansturm auf die sechs Meter hohe, mit Natodraht bestückt Grenzanlage seit 2005. Mehrere Flüchtlinge mussten mit Verletzungen ins örtliche Krankenhaus eingeliefert werden. Der Rest zog jubelnd und tanzend ins Übergangslager in Melilla, wo sie von den Insassen freudig empfangen wurden.
Es nutzt alles nichts. Weder die Aufrüstung der Grenzanlage mit dem gefürchteten Natodraht, der mit rasiermesserscharfen Metallblättchen versehen ist, noch die Verlegung weitere Polizeieinheiten nach Melilla und der zweiten Exklave Ceuta können die Flüchtlinge abschrecken. Alleine in den ersten beiden Monaten diesen Jahres überwanden 530 Menschen den Zaun nach Melilla. Das sind drei Mal so viele wie im Vergleichszeitraum 2013. Im Februar verloren 15 Immigranten ihr Leben, als sie versuchten schwimmenden Ceuta zu erreichen. Die Grenzpolizisten schossen mit Tränengas und Gummigeschossen auf sie. In der entstandenen Panik ertranken die Opfer, oder wurden erdrückt.
Das Innenministerium in Madrid spricht von einem „starken Migrationsdruck“. Kommende Woche will sich Innenminister Jorge Fernández mit seinem marokkanischen Kollegen in Tanger treffen. Er will erreichen, dass Marokko zustimmt, die Flüchtlinge unmittelbar an der Grenze zurückzunehmen. Das geschieht zwar auch jetzt schon immer wieder, ist aber weder bilateral geregelt noch nach spanischem Recht zulässig. Denn wer erst einmal in Spanien ist, muss ordentlich, von einem Richter abgeschoben werden.
Laut spanischem Innenministerium sollen sich alleine in Marokko 30 bis 40.000 Flüchtlinge aufhalten, die auf eine Gelegenheit warten, den Zaun in eine der beiden Städte zu nehmen. Hilfsorganisationen halten diese Zahl für übertrieben. Auch die Version des Innenministers nach der hinter den Massenanstürmen organisierte Mafiabanden stecken überzeugen nur wenige. So gab der Chef der Grenzbrigade der Nationalpolizei in Ceuta, Ramón Caudevilla vergangene Woche ein Interview in der er dies bestritt. „Hinter den Massenanstürmen können unmöglich Mafien stecken“, sagte der Beamte, der seit 16 Jahren für die Einwanderung in Ceuta zuständig ist. Innenminister Fernández duldet solchen Widerspruch nicht. Er hat ein Disziplinarverfahren gegen Caudevilla eingeleitet. Da er ohne Genehmigung des Ministerium mit der Presse geredet habe, wird er seinen Posten verlieren./Foto: Stéphane M. Grueso