© 2013 Reiner Wandler

Hoffnung für Franco-Opfer

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38 Jahre nach Ende der spanischen Diktatur unter General Francisco Franco gibt es Hoffnung für die Opfer, doch noch Gerechtigkeit zu finden. Argentinien öffnet seit Montag weltweit die Konsulate für die Opfer und Angehörigen der Repression in der Zeit des spanischen Bürgerkrieges 1936 bis 1939 und den sich anschließenden 36 Jahren Gewaltherrschaft. Die Betroffenen können vor dem Konsularbeamten eine notariell beglaubigte Zeugenaussage abgeben. Diese ungewöhnliche Initiative geht auf die Richterin María Servini vom I. Föderalen Gerichtshof in Buenos Aires zurück. Sie ermittelt seit dem 14. April 2010, dem 79. Jahrestag der vom Franco-Putsch gestürzten Zweiten Spanischen Republik, wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Die argentinische Richterin ließ die Klagen zu, nachdem in Spanien die Ermittlungen von Baltazar Garzón auf Druck der juristischen Hierarchie eingestellt werden mussten. Argentinien kennt seit der Verfassung von 1853 das Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit. Servini stützt sich teilweise auf die Arbeit von Richter Garzón, der mittlerweile aus dem Richterdienst verwiesen wurde. Er ging von mindestens 113.000 Verschwundenen aus. Es waren meist Anhänger der demokratischen Ordnung, Gewerkschafter und Linke die währende des Bürgerkrieges und den ersten Jahren der Diktatur standrechtlich erschossen und irgendwo verscharrt wurden. Mindestens 2.200 Massengräber sollen sich in Spanien befinden. Nur rund 300 wurden bisher auf Initiative der Angehörigen exhumiert. Polizei und Richter weigern sich regelmäßig, die Funde von sterblichen Überresten aus der Zeit der Diktatur aufzunehmen.

Ausserdem wurden mindestens 30.000 Neugeborene ihren Müttern entwendet und regimetreuen und reichen Familien überlassen. Zusammen mit der systematischen Folter von Inhaftierten, die selbst nach dem Tod des Diktators noch einige Zeit anhielt, sieht Richterin Servini „den grauenhaften Tatbestand des Völkermords und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gegeben. Mittlerweile wurden bei ihr 170 konkrete Fälle angeklagt. Die Konsularkampagne dürfte Tausende weitere Aussagen bringen. 11 Opferorganisationen aus Spanien sowie mehrere Menschenrechtsorganisationen aus Argentinien haben sich der Klage angeschlossen. Das Parlament in Buenos Aires verabschiedete eine Resolution, in der die Straffreiheit der Franco-Diktatur verurteilt wird.

Servinis Ermittlungen haben zu ersten Ergebnissen geführt. Am vergangenen Mittwoch, dem 18. September, erließ sie internationalen Haftbefehl gegen vier ehemalige Polizeibeamte und Angehörige der faschistischen Partei Falange im Alter von 66 bis 74 Jahre, die sich als Folterknechte in den letzten Jahren der Diktatur besonders hervorgetan haben. Unter ihnen befindet sich ein ehemaliger Leibwächter von General Franco und König Juan Carlos. Sobald die Haftbefehle in Spanien eingehen, hat Madrid zwei Möglichkeiten. Entweder werden die Beschuldigten, von denen wohl drei noch am Leben sind, verhaftet und ausgeliefert, oder die spanische Justiz nimmt sich selbst der Fälle an. In den drei Jahren, in denen Servini ermittelt, haben die spanischen Behörden jedwede Zusammenarbeit verweigert. Weitere Haftbefehle könnten schon bald folgen.

„Wir zeigen uns für einen Gefallen erkenntlich“, erklärt Anwältin Ana Messuti, die die Opfer verteidigt. Denn Richter Garzón hatte einst in den 1990er Jahren von Spanien aus Ermittlungen gegen die Militärs aufgenommen, die Argentinien von 1976 bis 1983 mit brutaler Gewalt geführt hatten. Als Folge dieser Verfahren wurde 2006 die in Argentinien gültige Amnestie aufgehoben und mittlerweile über 300 für Repression und Verschwindenlassen Verantwortliche verurteilt. Messuti vergleicht die Lage in Spanien mit der in Argentinien. Auch in Spanien gibt es seit 1978 ein Amnestiegesetzt, mit dem Richter Garzón untersagt wurde, weiter zu ermitteln.

„In Spanien haben sie uns eine Tür nach der anderen zugeschlagen, in der Hoffnung, dass wir mit der Zeit unser Anliegen vergessen“, erklärt Maria Garzón. Die Tochter von Richter Baltazar Garzón spricht im Namen der „Wahrheitskommision für die Francozeit“ ein Zusammenschluss aus unterschiedlichsten Opferorganisationen, die in Argentinien als Kläger auftreten. Neben der juristischen Aufarbeitung will Garzón eine offizielle Kommission zur Vergangenheitsbewältigung durchsetzen, wie sie in über 40 Ländern bestand. Mit ihrem Anliegen haben sich die spanischen Franco-Opfer bis hin zur UNO Gehör verschafft. Diese Woche besucht die UN-Arbeitsgruppe für zwangsweises oder unfreiwilliges Verschwinden (WGEID) Spanien. Sie wird sich mit Anwälten, Juristen und verscheidenen Organisationen treffen, um danach Empfehlungen abzugeben. „Spanien hat internationale Abkommen zum Thema unterzeichnet, die nicht erfüllt werden“, beschwert sich Garzón. Sie hofft, dass der internationale Druck Spanien so viele Jahre nach Ende der Diktatur endlich zum Einlenken zwingt.

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Meine Meinung

Ende der Straffreiheit

Es ist ein Trauerspiel. Spanien, ein Land, in dem die politische Klasse gerne Vokabeln wie „modern“ und „europäisch“ im Munde führt, ist nicht in der Lage die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Es braucht dazu eine Richterin von aussen. Die Argentinierin Maria Servini nimmt sich der Opfer der Franco-Diktatur an, nachdem in Spanien selbst – der mittlerweile vom Dienst suspendierte – Richter Baltasar Garzón von der Justizhierarchie gezwungen worden war, die Nachforschungen einzustellen. Es gebe ein Amnestiegesetzt, damit sei die Vergangenheit vergangen.

Das Verrückte dabei: Es war eben die spanische Justiz und eben der selbe Richter Garzón der in den 1990er Jahren im Namen der universellen Gerechtigkeit die Diktatoren aus Argentinien und Chile wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgte und das gerade weil dort eine Amnestiegesetz für Straffreiheit sorgte. Das Argument: Wenn die einheimische Justiz nicht ermittelt, kann dies – ja muss dies – im Namen der universellen Gerechtigkeit ein anderes Land tun. Mit der gleichen Logik geht jetzt Richterin Servini im Falle der Franco-Diktatur vor.

Seit 38 Jahren müssen sich die Opfer in Spanien anhören, sie sollten doch nicht alte Wunden aufreißen. Die Transición -der Übergang zur Demokratie – sei beispiellos, das dürfte nicht gefährdet werden. Entschuldigungen, Wiedergutmachungen gab es keine, ja nicht einmal eine staatliche Hilfe bei der Suche nach den mehr als 113.000 Verschwundenen, die überall im Lande von den Faschisten hingerichtet und in Straßengräben verscharrt wurden.

Gleichzeitig weigern sich die regierenden Konservativen unter Ministerpräsident Mariano Rajoy die Diktatur zu verurteilen. Sie stimmten erst jüngst gegen ein Gesetz, dass Ehrungen für diejenigen Spanier verbieten sollten, die an Seiten der Hitlertruppen gen Osten zogen.

Spaniens politische Klasse setzt seit Ende der Diktatur darauf, dass die Opfer müde werden und vergessen. Diese Rechnung scheint dank Argentinien jetzt nicht aufzugehen. Es würde den europäischen Partnern Spaniens gut zu Gesichte stehen, Druck auf Madrid auszuüben. Die Opfer haben eine Ende der Straffreiheit für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdient nicht nur in Lateinamerika sondern auch hier in Europa.

Was bisher geschah: