© 2013 Reiner Wandler

Gesichter der Krise

Das Gefühl der Verantwortung
Azucena Martín
Azucena Martín (31), Kundenbetreuerin bei der Bahn, Madrid

Ich habe die Krise bisher ganz gut überstanden. Ich arbeite seit 11 Jahren bei der spanischen Eisenbahn in Madrid im Hochgeschwindigkeitsbereich in der Kundenbetreuung. Das heißt wir kontrollieren die Fahrkarten am Eingang zum Bahnsteig. Ich habe eine Festanstellung.

Noch. Denn ich arbeite ist für ein Subunternehmen, das dieses Jahr den Dienstleistungsvertrag neu aushandeln wird. Gleichzeitig läuft der Tarifvertrag aus. Bei anderen Dienstleistern – wie zum Beispiel den Putzkolonnen – wurde in der gleichen Situation Personal abgebaut und die Löhne gesenkt. Ich habe Angst, dass dies bei uns auch passieren kann. Bereits jetzt werden freie Stellen nicht mehr besetzt.

Wir arbeiten immer mehr für das gleiche Geld. Ich verdiene 950 Euro netto. Die Rate für meine Wohnung in einem Vorort beträgt monatlich 470 Euro. Ich habe eines der beiden Zimmer untervermietet. Die Wohnung hat 2005 auf der Höhe des Booms 169.000 Euro gekostet. Jetzt ist sie nur noch rund 90 bis 100.000 Euro wert. Der Kreditvertrag hat eine Lufzeit von 30 Jahren.

In den letzten Jahren trete ich immer kürzer, denn mein Freund ist seit zwei Jahren arbeitslos. Er schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Auslandsurlaube, wie einst zum Wandern nach Schottland, sind nicht mehr drin. Wir tanken hin und wieder voll und machen uns mit Rucksack und Zelt irgendwo in Spanien auf den Weg.

Ausgehen? Wenn überhaupt, trinken wir mit Freunden ein Bier in einer Kneipe im Stadtteil. Kino, Theater … all das können wir uns nicht mehr leisten.

Was am schwersten wiegt, ist das Gefühl nicht scheitern zu dürfen. Mein Bruder und ich unterstützen unsere Eltern. Sie sind Langzeitarbeitslose. Mein Vater arbeitete auf dem Bau und meine Mutter in einem Großhandel für Apothekenzubehör. Mit knapp unter 60 finden sie keine Arbeit mehr. Sie erhalten monatlich 420 Euro Arbeitslosenhilfe, können ihren Wohnungskredit nicht mehr bedienen.

Die Bank hat erfolgreich auf Zwangsräumung geklagt. Vollzogen wurde sie noch nicht, da ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes viele spanische Hypothekenverträge für unrechtmäßig erklärte. Dies hat aufschiebende Wirkung. Doch irgendwann wird die Räumung kommen. Es ist die Verantwortung für meine Eltern, die mir am meisten Sorgen macht.

Was bisher geschah: