Das Motto war ein Hilferuf und eine Drohung zugleich: „Sie wollen das Land ruinieren! Das muss unterbunden werden. Wir sind mehr!“ lautete der Slogan mit dem am Donnerstag Abend in über 80 spanischen Städten die Menschen gegen das größte Sparpaket der Geschichte des Landes auf die Straße gingen. 3,6 Millionen Teilnehmer folgten nach Angaben der Veranstalter dem Aufruf von über 20 Gewerkschaften und Berufsverbänden, unabhängig welcher politischen Couleur, sowie über Tausend Organisationen, Verbände und politische Parteien, gegen die Kürzung von 65 Milliarden Euro im laufenden Jahr und 2013.
Brüssel verlangt von Spanien einen harten Sparkurs als Gegenleistung für ein 100 Milliarden Rettungspaket für die angeschlagenen Banken und Sparkassen. Den Beamte und Angestellte im Öffentlichen Dienst wird das Weihnachtsgeld gestrichen und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle gekürzt. Die Ausgaben für das Pflegegeld werden „rationalisiert“, die Arbeitslosenhilfe gesenkt und Massenentlassungen in öffentlichen Betrieben und Einrichtungen, wie Rundfunk- und Fernsehanstalten beschleunigt. Außerdem wird die Mehrwertsteuer von 18 auf 21 Prozent erhöht, während die Besserverdienenden und die großen Vermögen des Landes einmal mehr verschont bleiben. „Sie schützen die Privilegien der Eliten und schaden der Mehrheit der Bürger“, erklärte CCOO-Chef Ignacio Fernández Toxo, vor Beginn der Demonstrationen.
Der größte Protestmarsch fand in Madrid statt. Es kamen – so die Gewerkschaften – 800.000 Menschen. Die Polizei will nur 40.000 gezählt haben. Mehrere große Boulevards waren kilometerlang völlig blockiert. Der Haupttransparent hinter dem die Vorsitzenden der beiden großen Gewerkschaften, CCOO und UGT, sowie aller wichtigen Berufsverbände und die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), Bernadette Segol, gingen, brauchte über zwei Stunden um sich durch die Massen bis zum Kundgebungsort an der zentralen Puerta del Sol zu kämpfen.
Erstmals in der Geschichte Spaniens nahmen die Polizeigewerkschaften, die fortschrittlichen und konservativen Berufsverbände der Richter- und Staatsanwälte sowie der Soldatenverband teil. Unter den Demonstranten befanden sich namhafte Vertreter der spanischen Kultur, unter ihnen der Schauspieler Javier Bardem, der für seine Rolle in „No Country for Old Men“ 2008 den Oskar erhielt.
Anders als bei früheren Demonstrationen gegen die Sparpolitik redete kein Gewerkschaftsvertreter. Stattdessen verlasen zwei Schriftsteller einen Text: „Die Maßnahmen sind ein Angriff ohnegleichen, nicht nur auf die Rechte der Arbeiter und Bürger, sondern auf die Grundlagen der Demokratie als solche“, hieß es. Es würden einmal mehr „die Gleichen wie immer“ zur Kasse gebeten, während die Regierung „ihre Freunde“, die großen Unternehmen und Vermögen des Landes, nicht behellige.
Nach Ende der Kundgebung, um 23 Uhr, zogen Tausende vor das Parlament. Das Gebäude ist seit mehr als einer Woche weiträumig von der Polizei mit übermannshohen Gittern abgesperrt. Als die Demonstranten daran rüttelten, setzten die Polizisten Schlagstöcke und Gummigeschosse ein. 15 Menschen – darunter ein Feuerwehrmann – wurde verhaftet, über 30 wurden verletzt. Sechs so schwer, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.
„Dort ist die Höhle Ali Babas“ riefen die Menschen vor dem Parlament immer wieder. Nur wenige Stunden vor den Demonstrationen hatte die regierende, konservative Volkspartei (PP) gegen den Protest aller andere Fraktionen das Sparpaket verabschiedet. Ministerpräsident Mariano Rajoy nahm an der Parlamentsdebatte nicht teil. Er kam nur zur Abstimmung und verschwand dann wieder durch den Hinterausgang.
Die Aufgabe die unpopulären Maßnahmen zu verteidigen, fiel Finanzminister Cristóbal Montoro zu. „Wir haben kein Geld mehr in der Staatskasse“, erklärte er und schob alle Verantwortung für die Maßnahmen auf Brüssel und die Troika. „Steigen Sie ins Flugzeug und sagen denen in Brüssel, dass die Kürzungen eine Grausamkeit darstellen“, hielt ihm der Sprecher der Sozialistischen Partei (PSOE), Alfredo Pérez Rubalcaba entgegen. Der harte Sparkurs würde Spanien noch tiefer in die Rezession treiben und die Arbeitslosenzahl von derzeit 5,6 Millionen bis zum Jahresende auf 6 Millionen steigen. „Wir können so nicht weitermachen. Wir provozieren noch mehr Unmut“, warnte Rubalcaba.
Die Veranstalter der Demonstrationen vom Donnerstag haben sich zu einer Plattform zusammengeschlossen, um den ganzen Sommer über weitere Protestaktionen abzuhalten. Im September soll es dann eine zentralen Protestmarsch auf Madrid geben. CCOO verlangt eine Volksabstimmung über das Sparpaket. „Wenn die Regierung das nicht macht, organisieren wir die Abstimmung selbst und je nachdem wie sie ausgeht, werden wir dann die weiteren Mobilisierungen ausrichten“, erklärt CCOO-Chef Toxo.