Jaume Marquet (37) ist Jimmy Jump. Unter diesem Namen flitzt oder – wie er es nennt – springt der Mann aus Sabadell bei Barcelona bei Fußballspielen und anderen Events.
Nach einer erfolglosen Kandidatur für eine katalanisch-separatistische Formation zum Bürgermeister in seinem Heimatort, arbeitete Marquet als Generalvertreter für Chupa Chups. Später verkaufte er Wohnungen. Dann kam die Krise. Mittlerweile wohnt Marquet wieder bei seinen Eltern und ist pleite.
Die Karrierer von Jimmy Jump begann bei einem Freundschaftsspiel des FC Barcelona 2002. Zu internationalem Ruhm gelangte er 2004, beim Endspiel der Europameisterschaft, als er Luis Figo eine Barça-Fahne überwarf. Im gleichen Jahr sprang er auf die Fahrbahn der Formel 1 in Montmeló. 2007 stülpte er Leon Messi in München eine Mütze über. 2009 ereilte Roger Federer beim French Open das gleiche Schicksal. 2010 traf es den Worldcup in Johannesburg und Jimmy Jump erschien überraschend auf der Bühne des European Song Contests in Oslo.
Das war ganz sicher nicht Ihr Monat. Sie wollten unbedingt beim Endspiel der Champions League in München flitzen. Aber es hat nicht geklappt. Woran ist es gescheitert?
Das ist eine lange Geschichte. Ich bin in München bereits einmal auf dem Spielfeld gewesen. 2007 beim Abschiedsspiel von Mehmet Scholl. Damals habe ich Leon Messi meine Mütze aufgesetzt. Ich erhielt bis 2010 Stadionverbot. Jetzt hätte ich es einfach gerne wieder versucht. Ich setzte darauf, dass mich ein deutsches Privatfernsehen in die Allianz Arena einschleust. Aber sie sagten mir, dass sie illegale Aktionen nicht unterstützen würden. Daraufhin bin ich im Auto nach München gefahren, habe Kontakt zu Bekannten aufgenommen, die Eintrittskarten weiterverkaufen, habe mich in Fan-Kneipen umgesehen. Aber es war einfach nichts zu machen.
Aber Sie kaufen doch sonst keine Eintrittskarten. Sie mogeln sich normalerweise immer irgendwie durch?
Ja, aber bei Endspielen habe ich hin und wieder Eintrittskarten gekauft, zum Beispiel beim WM-Finale in Südafrika, wo ich dem Pokal meine Mütze überstülpte. Seit ich arbeitslos bin, habe ich dazu das Geld nicht. In München war es unmöglich an den Kontrollen vorbeizukommen. So etwas schmerzt.
Schmerzen?
Ja das schmerzt. Ich bereite mich auf meine Aktionen genauso vor, wie die Spieler auf das Finale. Ich trainiere zwei Monate vor einem Auftritt. Ich schwimme, gehe in den Kraftraum, meditiere und laufe. Ich trainiere meine Explosivität, indem ich auf Rasen sprinte. Außerdem recherchiere ich im Internet über das Stadion, bitte Freunde auf Facebook – das sind mittlerweile mehr als 200.000 – ob jemand eine Idee hat, wie er mir helfen kann. Das mache ich alles alleine. Ich habe keinen Manager, niemanden fürs Marketing und auch keinen Anwalt.
Wie oft sind sie geflitzt?
Ich mache das nun seit mehr als zehn Jahren. Um die 50 Mal bestimmt.
Was war Ihr größter Erfolg?
Das ist wie bei der Liebe. Das erste Mal ist immer am schönsten. Mein erster, großer internationale Sprung auf ein Spielfeld war beim Endspiel der Europameisterschaft 2004. Ich habe Luis Figo die Fahne des FC Barcelona übergeworfen. Er hatte zuvor den Verein verlassen und bei Real Madrid unterschrieben. Das Foto ging damals um die Welt.
Was fühlt man in so einem Augenblick?
Das ist ein unglaublicher Adrenalinschub, als würdest du aus der Umlaufbahn fliegen. Du bist plötzlich kein Planet mehr, der sich geregelt bewegt. Du bist ein Meteorit und fliegst quer durch das ganze System. Keiner hat dich eingeladen, du hast nicht einmal eine Eintrittskarte. Aber du dringst in einen Raum vor, der völlig überwacht und abgeschirmt ist. Du bist eine Kraft, die keiner kontrollieren kann.
Wie hat das alles angefangen? In der spanischen Presse ist immer wieder zu lesen, dass Sie bereits als kleines Kind gerne den Eltern entwischt sind.
Damit hat das wenig zu tun. Wenn überhaupt spielt ein anderes Kindheitserlebnis eine Rolle. Mit meinem Vater ging ich oft zum FC Barcelona. Er hatte seinen Sitzplatz ganz hinten, oben. Da er am Stock geht, behauptete er einfach, er könne sich nur schlecht bewegen und kam damit immer wieder ohne Aufpreis auf die Haupttribüne.
Und wie wurde daraus Jimmy Jump?
Während meines Betriebswirtschaftsstudiums meldete ich mich bei Castings für TV-Werbung, ohne Erfolg. Der Verantwortliche sagte mir, dass ich nicht fürs Fernsehen tauge. Es war sowas wie Rebellion gegen ihn, als ich 2002 bei einem Freundschaftsspiel des FC Barcelona erstmals aufs Spielfeld lief. Ich war in allen Zeitungen und natürlich im Fernsehen. Ich habe den Castingdirektor ganz stolz angerufen. Ich hatte es auf den Bildschirm geschafft.
Jimmy Jump sucht also nach Anerkennung?
Das Ganze hat zwei Aspekte. Natürlich gefällt es mir in den Medien präsent zu sein. Aber es ist auch der Wunsch, Normen und Regeln zu brechen, mich gegen alles Etablierte aufzulehnen.
Macht Jimmy Jump, was sich Jaume Marquet nicht traut?
So stimmt das nicht. Ich zahle so gut wie nie, wenn ich ins Kino oder sonst wo hingehe. Selbst bei den Autobahnmautstellen habe ich meine Tricks, um kostenlos durchzufahren. Wo immer das möglich ist, mogle ich mich durch. Manchmal ist es nicht so einfach Jimmy Jump von Jaume Marquet zu unterscheiden. Jimmy ist eine unterhaltsame Person. Aber Jaume bekommt danach die Strafbescheide.
Von welchen Beträgen reden wir?
Die erste und billigste Strafe waren 600 Euro, die teuerste 60.000 Euro. Insgesamt schulde ich der spanischen Justiz über 200.000 Euro. Das ist ein echtes Problem, denn ich weiß nicht, von was ich das bezahlen soll. Deshalb flitze ich in letzter Zeit auch nicht mehr in Spanien.
Die Rebellion ist also Programm und Botschaft von Jimmy Jump zugleich?
Das mischt sich mit konkreten Botschaften. Ich bin mit T-Shirts gegen den Rassismus gelaufen, bin für ein freies Tibet eingetreten … Es sind immer wechselnde Botschaften, die für die Freiheit stehen und mit denen ich mich identifizieren kann.
Don Quixote ist eines Ihrer Idole. Warum?
Er lief mit seiner Lanze gegen Windmühlen an, die er für Feinde hielt. Die Leute fragten sich, was macht er da. Wenn ich auf das Spielfeld laufe, frage ich mich das manchmal auch. Ich habe eigentlich keine Antwort darauf. Ich weiß nur, das mein Körper danach verlangt. Mir gefallen exzentrische Persönlichkeiten wie Don Quixote oder auch der katalanische Maler Salvador Dali.
Und was sind Ihre Windmühlen?
Das System, das hinter dem ganzen Spektakel Fußball steht. Ich laufe auf den Platz mit all dieser Bandenwerbung großer Marken, zahle nichts und ziehe meine eigene Show ab. Ich mache mich damit über all das lustig.
Das heißt der aktuelle Fußball gefällt Ihnen nicht wirklich?
Der Fußball ist heute reines Geschäft. Die UEFA kontrolliert alles: Unten die Spieler und auf den Rängen und vor dem Fernseher die Zuschauer. Wenn ich aufs Spielfeld springe, schwenken die Kameras weg. Sie wollen alles unter Kontrolle habe, jede einzelne Sekunde des Spiels. Sie bestimmen mit ihren Übertragungen das Bild vom Fußball. Das hat mit Journalismus nichts mehr zu tun.
War früher alles besser?
Schauen Sie, wie das heute läuft. Die Eintrittskarten werden immer teurer, selbst vor dem Fernseher musst du für das Spiel bezahlen. Es geht nicht mehr lange und der Fußball ist nur noch etwas für Reiche. Und das gilt nicht nur für den Fußball, die ganze Gesellschaft ist so. Das ist eine regelrechte Revolution. Keiner weiß wo das enden wird. Gegen all das begehre ich auf.
Zerstören Sie damit nicht das Spektakel Fußball, das Spiel als solches?
Nein. Es ist gut, dass es Leute wie mich gibt. Denn sonst wäre der Fußball langweilig. Alles wäre von der Geldmaschine UEFA kontrolliert. Ich glaube, dass meine Aktionen positiv für den Fußball sind.
Warum haben sie immer diese rote Mütze auf?
Es ist eine Freiheitsmütze aus der französischen Revolution. Die Republikaner, die den König hinrichteten, trugen sie. All das wusste ich am Anfang nicht. Damals habe ich die Mütze aufgesetzt, weil sie für uns Katalanen sowas wie ein Nationalsymbol ist, die wir bei Volksfesten und auch bei Spielen des FC Barcelona tragen. Seit ich weiß woher die Mütze kommt, trage ich sie mit noch mehr Stolz.
Sie haben in den meisten großen Stadien Hausverbot.
Das lässt sich nicht wirklich kontrollieren an einem Ort, an dem sich mindestens 50.000 Menschen versammeln.
Wie mogeln Sie sich rein?
Ich verkleide mich, benutze Perücken, um unerkannt zu bleiben. Ich habe Presseausweise und andere Karten und ein paar geheime Tricks, die ich lieber nicht erzähle. Damit gelingt es mir meist ins Stadion zu kommen.
Doch das ist nur der erste Schritt.
Im Stadion selbst suche ich dann den besten Platz, um aufs Spielfeld zu springen. Ich habe mich natürlich zuvor schon über das Stadion informiert. Alles muss schnell gehen. Meist ist es von der Seitenlinie leichter als hinter den Toren. Dort sitzen die harten Fans und die Kontrolle ist entsprechend. Das ist alles gar nicht so einfach. Vor allem wenn du alles alleine machst, so wie ich, ohne Unterstützung durch ein Team, wie es andere berühmte Flitzer, wie der Engländer Mark Roberts, hatten. Die Sponsoren kümmerten sich um alles. Er musste nur noch aufs Spielfeld springen.
Hätten sie das auch gerne?
Nach zehn Jahren, in denen ich alles in meine Karriere als Jimmy Jump investiert habe, hätte ich es eigentlich schon verdient, dass mich jemand sponsert, irgendein witziges Unternehmen, vielleicht mit einem sozialen Anliegen, keine dieser großen Geldmaschinen.
In Spanien demonstrieren seit mehr als einem Jahr die „Empörten“ gegen die Krisenpolitik. Das ist doch der ideale Ort für einen Rebellen wie Jimmy Jump.
Ich habe tatsächlich an den Demonstrationen teilgenommen und im Protestcamp in Barcelona übernachtet. Während einer Sitzung des katalanischen Parlaments wollte ich aus Protest gegen die Sozialkürzungen das Rednerpult stürmen. Ich gelangte auf die Pressetribüne, aber dann hat mich ein Ordner erkannt.
Das wäre nicht ihr erster Auftritt außerhalb des Fußballs gewesen. Gran Prix, Eurovision, Tennis … Wie suchen Sie die Veranstaltungen aus?
Ich suche nach immer neue Herausforderungen. Wenn du eine Strafe bekommst und eine oder zwei Nächte auf der Polizeiwache verbringst, sollte das ganze schon pressewirksam sein. Jede Aktion ist anders, aber Spass machen sie immer.
Was fehlt auf der Liste von Jimmy Jump?
Nachdem ich in Südafrika beim Endspiel den Worldcup angefasst habe, träume ich von Hollywood. Ich würde gerne einem echten Oscar meine Mütze überstülpen.
Wie reagiert ihr Umfeld auf Jimmy Jump?
Meine Mutter versucht mich zu verstehen. Mein Vater ist jedes Mal völlig aufgebracht. Jetzt wo ich wieder zu Hause wohne, hat er mir gedroht, mich rauszuschmeißen, falls ich flitze. Meine Freunde verstehen das auch nicht wirklich. Freundinnen haben mit mir Schluss gemacht, ich habe mehrmals die Arbeit verloren … Eigentlich hat mir all das nur Probleme eingebracht.
Werden wir Jimmy Jump bei der Europameisterschaft sehen?
Ich habe im Augenblick nicht die Mittel nach Polen und die Ukraine zu fahren. Deshalb habe ich noch nichts Konkretes geplant. Die Koffer packen und ganz alleine losziehen? Ich habe das 10 Jahre gemacht. Irgendwie fehlt es mir an Begeisterung.
Jimmy Jump – ein Opfer der Wirtschaftskrise oder des Alters?
Beides. Ich brauche einen qualitativen Sprung in meinem Leben. Ich rede nicht davon, mich ins Establishment zu integrieren, mit einem guten Job, mit Steuern, mit einer Frau, die ich zum Essen ausführe … Ich will weiterhin frei sein. Es wäre ideal auf einer einsamen Insel leben zu können und bei großen Events einzufliegen, um zu flitzen. Aber leider habe ich keine Superkräfte.