© 2012 Reiner Wandler

Flamenco, Schließfächer, ratlose Politiker

Demonstrierende Rentner oder ein Flamenco-tanzender Flashmob in der Schalterhalle, eine lange Schlange von Kunden vor der Tür, die aus Unmut über die staatliche Bankenrettung ihre Konten kündigen wollen – seit Bankia Anfang Mai mit 4,5 Milliarden Euro aus öffentlichen Geldern teilverstaatlicht wurde, steht der Zusammenschluss aus sieben spanischen Sparkassen rund um die hauptstädtische Caja Madrid im Blickpunkt der sozialen Proteste.

Weitere 19 Milliarden Euro werden nötig sein, um das viertgrößte spanische Finanzinstitut zu retten. Die restliche Branche braucht – so Schätzungen von Goldman Sachs – weitere 25 Milliarden Euro. Zusammengenommen entspricht dies in ungefähr dem, was die Spanier in den letzten beiden Jahren an Kürzungen über sich ergehen lassen mussten. Spaniens Finanzbranche sitzt auf Unsummen an „toxischen Aktivposten“ aus Krediten und Immobilien, die nicht mehr abbezahlt werden.
Die Krise droht das gesamte Finanzsystem des Landes zu sprengen und könnte gar den Euro in den Abgrund reissen. Spaniens Börse verliert Tag für Tag an Wert und der Risikozuschlag steigt unaufhörlich. Seit einer Woche liegt er deutlich über 500 Punkte. Die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen beliefen sich zum Wochenende auf 6,6 Prozent und nähern sich damit der Zone, in der Griechenland, Irland und Portugal unter den europäischen Rettungsschirm schlupfen mussten.
Bei den Anlegern geht die Angst um. Laut Spanischer Zentralbank zogen sie in den vergangenen 12 Monaten 296 Milliarden Euro ab. Das entspricht 28 Prozent des spanischen Brutto Inlandproduktes 2011. Der März schlug mit 66,7 Milliarden Euro alle Rekorde.
Ausländische Investoren ziehen ihre Anlagen ab und verkaufen ihre spanischen Aktien und Staatsanleihen. Aber auch die Spanier trauen ihren Banken nicht mehr. Staatliche Stellen und öffentliche Unternehmen verschoben im März fünf Milliarden Euro. Und selbst die Banken bunkern ihre Rücklagen im Ausland, statt sie heimischen Kollegen anzuvertrauen. Knapp 20 Milliarden Euro nahmen im März diesen Weg. Das Geld stammt paradoxerweise aus den Liquiditätshilfen, die die Europäische Zentralbank zum Niedrigzinssatz von nur einem Prozent vergeben hatte.
Auch Familien und Kleinunternehmer werden langsam unruhig. Sie verschoben im März 1,4 Milliarden Euro ins Ausland. Die Warteliste für Bankschließfächer werden immer länger. So mancher bewahrt darin sein Vermögen in großen Scheinen oder Gold auf. Das Angstwort der Stunde heißt „corralito“. Es kommt aus Argentinien und steht für die Kontosperre 2001/2002.
Der konservative Wirtschaftsminister Luis de Guindos wirkt immer hilfloser. Mehr als drei Wochen sind seit der Bankia-Verstaatlichung ins Land gegangen, ohne dass der Mann, der bis zu deren Crash Lehman Brothers in Spanien und Portugal vertrat, ein schlüssiges Konzept für die Sanierung vorgelegt hätte. Eine direkte, staatliche Liquiditätsspritze mittels neuer Staatsanleihen scheitert am Einspruch Brüssels. Der spanische Bankenrettungsfond FROB hat so große Summen nicht. Und die Lösung, Geld aus dem europäischen Rettungsfond für Bankia anzuforderm, ohne dass Spaniens als solches unter den Rettungsschirm schlupft, bräuchte eine Regeländerung. Dies scheitert bisher an der Haltung Berlins.
„Die Zukunft des Euros wird in diesen Wochen in Italien und Spanien ausgetragen“, warnt ein verzweifelt wirkender De Guindos. Er scheint auf eine europäische Bankenunion zu setzen, in der sich die Geldinstitute der EU gegenseitig absichern. Auf einer Blitzreise nach Washington warb Vize-Premier Soraya Saénz de Santamaría bei US-Schatzmeister Tim Geithner und der Vorsitzenden des Internationalen Währungsfonds Cristine Lagarde für dieses Konzept. Gleichzeitig wanrt Finanzminister Cristóbal Montoro zu Hause die internationalen Anleger – und damit indirekt Bundeskanzlerin Angela Merkel – vor hohen Verlusten, falls Spanien endgültig abstürtzt.
„Eine kindische Drohung“, urteilen drei der prestigreichsten spanischen Wirtschaftsprofessoren, die in den USA, Kanada und Großbritannien lehren, in einem vielbeachteten Meinungsartikel in der größten Tageszeitung des Landes, der El País. „Wir wollen nicht zurück zum Spanien der 50er Jahre“, warnen sie vor den Folgen eines Scheiterns des Euro und fordern eine Technokratenregierung, die von allen großen Parteien gestützt wird.

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