Matt und geschlagen trat der portugiesische Ministerpräsident José Sócrates am Mittwoch Abend vor die Fernsehkameras. „Ich habe im letzten Jahr alles getan, damit dies nicht eintritt“, erklärte der Sozialist seinem Volk, das fortan die EU mit ihrem Rettungsschirm die Kontrolle über Portugals Wirtschaft übernehmen wird. „Für mich war ein Hilfsgesuch immer der allerletzte Schritt. (…) Wenn wir jetzt nicht diese Entscheidung fällen würden, würde dies das Land einem schweren Risiko aussetzen“, fügte Sócrates hinzu. Er versicherte bis zu den Neuwahlen am 5. Juni alles zu tun, damit die Kosten dieser Entscheidung für die Bevölkerung so gering wie möglich ausfallen wird.
Es war die Chronik einer angekündigten Finanzkatastrophe. Am 23. März verweigerte das portugiesische Parlament dem in Minderheit regierenden Sozialisten die Gefolgschaft für ein viertes Sparpaket in nur einem Jahr. Sócrates trat zurück, Neuwahlen wurden angesetzt. Die Ratingagenturen stuften das ärmsten, westeuropäischen Landes weiter ab, die Zinsen für zehn-jährige Staatsanleihen stiegen zeitweise auf über zehn Prozent. Als dann auch noch die portugiesischen Geldinstitute ankündigten, keine Staatsanleihen mehr kaufen zu wollen, war Portugal am Ende.
Bis zu 75 Milliarden Euro wird die Rettung wohl kosten. Zwei Drittel des Betrages sollen aus Brüssel kommen, ein Drittel vom Internationalen Währungsfond (IWF). Beide haben bereits zugesagt, so schnell handeln zu wollen.
Die Bevölkerung in Portugal ist ob des Hilfsgesuches gespalten. Laut einer Blitzumfrage der Tageszeitung Diário de Noticías begrüßen 39 Prozent die Entscheidung. Ebenso viele lehnen sie ab. 46 Prozent glauben, dass das Land in einem Jahr noch schlechter dastehen wird, als derzeit.
Die beiden großen Parteien des Landes, die regierende Sozialistische Partei (PS) und die konservative Sozialdemokratische Partei (PSD), schieben sich derweilen gegenseitig die Schuld für den Gang nach Brüssel zu. „Sie glaubten, dass sie der Regierung das Bein stellen würden und stellten dem ganzen Land das Bein“, beschuldigte der Minister für Parlamentsangelegenheiten Jorge Lação die Konservativen, mit deren Hilfe die ersten drei Sparpaket durchs Parlament gingen. Das vierte scheiterte, als die PSD dagegen stimmte.
„Das Hilfsgesucht hat zur Folge, dass die Portugiesen ruhiger leben können“, erklärte der PSD-Vorsitzende Pedro Passos Coelho. Jetzt wo Portugals Wirtschaft endgültig am Boden liegt, gibt sich die größte Oppositionskraft ganz verantwortungsbewusst. Die PSD werde alles tun, damit die Übergangsregierung von Sócrates einen „würdigen Hilfsrahmen“ aushandeln könne. Es sei jetzt nicht die „Zeit für Kritik und Schuldzuweisungen“, sagte Passos Coelho nach der TV-Ansprache des Regierungschefs. Die PSD hofft auf einen überwältigenden Wahlsieg am kommenden 5. Juni. Die Umfrage von Diário de Notícias spricht dafür. 43 Prozent der Portugiesen schreiben die Schuld für den endgültigen Niedergang ihres Landes der Politik der PS zu, und nur 13 Prozent der Haltung der Konservativen im Parlament.
Mit Sorge schauen die Spanier auf das was im benachbarten Portugal geschieht. „Wer ist der Nächste?“ fragt El País, die größte Tageszeitung des Landes. Die Zahlen sind besorgnisserregend. 34 Prozent der öffentlichen und privaten Kredite in Portugal wurden bei spanischen Banken aufgenommen. Die Gesamtsumme beläuft sich auf sieben Prozent des spanischen BIP. Kein Land ist damit so stark mit Portugal verbunden wie Spanien. Außerdem sind rund 1.400 spanische Unternehmen im Nachbarland tätig. Die sinkende Kaufkraft der Portugiesen wird sie hart treffen. Die spanische Wirtschaftsministerin Elena Salgado trat am Donnerstag eiligst vor die Presse und schloss „jedwedes Risiko für Spanien“ aus. Die Wirtschaft des Landes sei „größer, breiter aufgestellt und stärker“.
Wie lange soll das noch so weiter gehen? Die internationalen Ratingagenturen treiben im Auftrag ihrer Kunden aus der Finanzwelt ein Land nach dem anderen in den Ruin und die EU schaut tatenlos zu. Jetzt hat es Portugal erwischt. Sicher hat die Regierung in Lissabon nicht alles richtig gemacht. Sicher gilt das auch für Irland und viel stärker noch für Griechenland. Doch hinter dem, was zur Zeit geschieht, steckt ein eiskaltes Kalkül.
Die Regierung des portugiesischen Sozialisten José Socrates hatte überhaupt keine Chance. Sie hat frühzeitig ein Sparpaket und Steuererhöhungen verabschiedet, mit dem Ziel das Defizit in den kommenden drei Jahren wieder in den Griff zu bekommen. Die Rechnungen sahen gar nicht so schlecht aus. Doch dann setzten die Ratingagenturen die Note herunter. Die Ersparnisse gingen für den Schuldendienst drauf. Der nächste Einschnitt ins Sozial- und Rentensystem wurde noch gewichtiger. Das Ziel blieb das gleiche. Und wieder sank die Note. Das ganze hat sich so insgesamt viermal wiederholt. Bis die Regierung zurücktreten musste, da sie keine Mehrheit mehr im Parlament zusammenbrachte und die Zinsen für Staatsanleihen auf über zehn Prozent stiegen.
Für die Ratingagenturen, gegen deren Machenschaften übrigens mittlerweile im benachbarten Spanien Klage eingereicht wurde, ist es ein sicheres Geschäft. Ein Land wird so lange stranguliert, bis die EU die Sicherheiten für die absolut überzogen Schuldendienste übernimmt. Da ist schon die Frage erlaubt, wo das unberechenbare Risiko sein soll, mit dem die Finanzmärkte die Rekordzinssätze rechtfertigen?
Den Kapitalismus neu gründen, hieß das Motto nachdem die Spekulanten die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrundes getrieben hatten. Mit Steuergeldern wurden den Banken unter die Arme gegriffen, ohne deren Geschäftsgebaren einzuschränken oder wenigsten etwas zu reformieren. Jetzt wo sie wieder auf den Beinen sind, machen sie deutlich, wer das Sagen hat, und verdienen – völlig ungestört – mehr denn je. Das nächste Opfer kommt bestimmt.