An Selbstbewusstsein fehlt es den Mitgliedern der tunesischen Allgemeinen Arbeitergewerkschaft UGTT, die nach eigenen Angaben 500.000 Mitglieder hat, dieser Tage nicht. Erst hat sie dabei geholfen, den tunesischen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali nach 23 Jahren aus dem Amt zu jagen, jetzt schauen viele UGTT-Mitglieder in die Nachbarländer und entdecken dort ihresgleichen. Aber nicht etwa in den großen, offiziellen Gewerkschaften, sondern in einer unabhängigen Gewerkschaftsbewegung, die parallel dazu entsteht.
„Wir müssen die Strukturen der USTMA ändern“, erklärt Abdelmajid Sahraoui, der stellvertretende Vorsitzende der USTMA, des Zusammenschlusses der offiziellen Gewerkschaften im Maghreb – Mauretanien, Marokko, Algerien, Libyen und eben Tunesien. Der UGTT-Aktive weiß, dass seine Organisation neben der der marokkanischen Kollegen die einzige ist, die sich eine gewisse Unabhängigkeit vom Regime bewahrt hat.
Die UGTT war an der Basis immer rebellisch, auch wenn es Ben Ali gelungen ist, die Führung mit seinen Getreuen zu unterwandern. Als Mitte Dezember die Proteste in Zentraltunesien begannen, die schließlich am 14. Januar den Diktator zu Fall brachten, stellten sich erst örtliche und dann auch regionale Gewerkschaftsführungen hinter die von Jugendlichen getragene Protestbewegung. Zum Schluss verweigerte selbst der nationale UGTT-Vorstand Ben Ali die Gefolgschaft. Ein Generalstreik, zuerst in der Industriemetropole Sfax und dann in der Hauptstadt Tunis, brachte das Ende der Diktatur.
Wenn Abdelmajid Sahraoui jetzt von neuen Strukturen spricht, denkt er an die unabhängigen Gewerkschaften, wie sie in Algerien entstanden sind.
Die autonome Gewerkschaftsbewegung in Algerien entstand zwischen 2000 und 2010. „Die offizielle algerische Arbeitergewerkschaft UGTA mit vier Millionen Mitgliedern hat viele Privilegien seitens der Macht erhalten. Anstatt die Interessen der Arbeiter zu vertreten, ist sie nur noch so etwas wie eine Verwaltung der Arbeiterschaft. Sie ist der lange Arm der Regierung.“ So erklärt auch Ali Lemdani, warum er vor acht Jahren – gemeinsam mit anderen Lehrern – beschloss, eine dieser unabhängigen Organisationen, die Lehrergewerkschaft CNAPEST, zu gründen. Heute gibt es in fast allen Bereichen Parallelstrukturen zur alten, behäbigen und korrupten UGTA.
Es sind die unabhängigen Gewerkschaften in Algerien, die seit Wochen Streiks in allen Bereichen organisieren und sich an den Protesten gegen Präsident Abdelaziz Bouteflika und für einen „echten demokratischen Wandel“ beteiligen. Die tunesische UGTT will erreichen, dass diese unabhängigen Gewerkschaften in den Zusammenschluss der offiziellen Gewerkschaften im Maghreb, die USTMA, aufgenommen werden.
Das große Vorbild der Algerier ist die größte unabhängige Gewerkschaftsbewegung im Norden Afrikas in Ägypten. Das dortige Zentrum „Center for Trade Union and Workers Services“, das mittlerweile seit 21 Jahren existiert, ist das Herzstück des auf dem Tahrirplatz während der Revolutionstage entstandenen neuen Verbandes der Ägyp-tischen Gewerkschaften FETU. Die Arbeitnehmerorganisationen waren maßgeblich an den Protesten gegen Hosni Mubarak beteiligt. Während meist jugendliche Demonstranten den Tahrirplatz in Kairo besetzt hielten, riefen die Gewerkschaften zu Streiks in den großen Industriezentren Ägyptens entlang des Nils auf.
Die offizielle Gewerkschaft des Landes, die Egyptian Trade Union Federation (ETUF) mit 2,5 Millionen Mitgliedern hielt still. Sie ist zwar eine der größten Gewerkschaftsorganisationen der arabischen Welt, doch ihre zunehmende Nähe zum System endete letztendlich in einer völligen Kontrolle der Gewerkschaft durch die Regierung Mubaraks. Das führte dazu, dass seit den 80er Jahren neue Organisationen außerhalb der ETUF entstanden.
Jetzt, nach der Revolution in Ägypten, fordert der Generalsekretär des Center for Trade Union and Worker Services, Kamal Abbas, die Auflösung des offiziellen Gewerkschaftsbundes ETUF. „Dieser Verband vertritt schon lange nicht mehr die Interessen der Arbeiter Ägyptens“, sagt er und verlangt die richterliche Untersuchung der Finanzen der ETUF und auch ihrer Vorstandsmitglieder, um Korruptionsvorwürfe aufzuklären./Zuerst erschienen bei: Publik/Verdi