© 2011 Reiner Wandler

Ein Schmugglerstädtchen im Umbruch

Dem Maurer macht sein Job sichtlich Spass. Mit Hammer und Meißel entfernt er die Kacheln an der Fassade eines Hauses auf der Hauptstraße von Ben Gardane. Sie zeigen eine Karte Tunesiens und den Schriftzug der verhassten Staatspartei RCD des gestürzten Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali. Die Fassade ist schwarz vom Ruß. Die Räume des einstigen Parteibüros sind völlig ausgebrannt.

„Es war auf einer der Demonstrationen Anfang Januar, als das RCD-Büro und das Polizeirevier in Flammen aufgingen“, erklärt Abdel Kebir Jelel und grinst dabei. Der 47-Jährige ist Direktor des örtlichen Kulturhauses. Er war auf allen Demonstrationen, die auch den Ben Gardane, 30 Kilometer von der libyschen Grenze ergriffen, nachdem sich am 17. Dezember in Zentraltunesien ein junger Arbeitsloser selbstverbrannte und damit den Aufstand gegen die Diktatur auslöste.

„Nach der Flucht Ben Alis verschwand die von oben eingesetzte Gemeinde- und Provinzverwaltung“, erinnert sich Jelel. Seither kümmert sich ein Rat zum Schutz der Revolution um die 80.000 Einwohnerstadt. Jelel ist einer der 15 bis 20 Personen, die ihm angehören. „Wir sind alles Freiwillige“, erklärt er nicht ohne Stolz. Schüler, Gewerkschafter, Menschenrechtler, junge Aktivisten, Rentner … es ist ein buntgemischter Haufen. Einen Vorsitzenden gibt es nicht, alles wird kollektiv beschlossen.

Der Sitz der improvisierten Stadtverwaltung ist Jelels Büro im Kulturhaus, einem Gebäude an der größten Kreuzung im Ort. Die Einrichtung ist spärlich: ein Schreibtisch, eine Regalwand und ein Couchecke mit Fernseher auf dem ununterbrochen Al Djazeera die neuesten Nachrichten aus dem benachbarten Libyen verkündet. Mitglieder des Komitees, Bürger, die irgendwelche Fragen haben und Soldaten, die auf der Kreuzung den Durchgangsverkehr beobachten kommen und gehen.

„Die wichtigste Aufgabe ist die Sicherheit“, berichtet Jelel. Nach der Revolution sind die Polizeibeamten aus Angst vor der Bevölkerung, die sie so lange drangsaliert haben, aus dem Straßenbild verschwunden. „Jetzt wollen wir eine neue Gemeindepolizei aufbauen“, erklärt der Kulturdirektor. Sie soll sich aus alten Beamten rekrutieren. Aber anders als unter Ben Ali sollen Polizisten künftig in ihrem Heimatort Dienst tun. „Sie kennen uns besser und wir kennen sie besser“, erklärt Jelel. Das sei ein gewisser Schutz vor Amtsmissbrauch.

Jeden Nachmittag trifft sich das Komitee mit der Führung der im Ort stationierten Armee-Einheit. Der Koordinationsstab ist entstanden, als die Flüchtlingswelle aus Libyen begann. Über Nacht organisierte das Komitee 2000 Plätze für Übernachtungen im Kulturhaus selbst, einer Sporthalle und im örtlichen Gymnasium. Die Bevölkerung sammelte spontan Lebensmittel, Decken und Medizin. Solange nur Tunesier kamen, ging das gut. Sammeltaxen und Busse brachten sie kostenlos in ihre Heimatorte. „Erst als Arbeiter aus Ägypten und anderen Ländern zu Zehntausenden ankamen, verschlimmerte sich die Lage“, berichtet Jelel. Dank der Solidarität in ganz Tunesien konnten die Menschen zwar mit Nahrung versorgt werden. Doch es war nicht möglich sie unterzubringen und sie abzutransportieren. Das änderte sich erst als nach mehr als einer Woche internationale Hilfe einsetzte.

Jetzt scheint die Flüchtlingskrise unter Kontrolle. „Wir können beginnen an die Zukunft zu denken“, sagt Jelel. Das Komitee will den Ort bis zu den ersten Gemeinderatswahlen weiterführen. Zwar gibt es mittlerweile eine neuen, unbescholtene Provinzgouverneur, doch eine Delegierten für Ben Gardane hat er noch nicht bestimmt. „Sollte es dazu kommen, werden wir ihn uns genau anschauen, bevor wir zustimmen“, sagt Jelel. Andere Mitglieder des Komitees, die sich mittlerweile dazugesetzt haben, nicken bestätigend.

Als die Revolution in Libyen begann, kam es in Ben Gardane wie überall in Tunesien zu spontanen Demonstrationen gegen Muammar Al Gaddafi – aber auch zu einem kleinen Aufmarsch für den libyschen Diktator. „Es waren alles Händler“, erklärt Jelel. Viele in Ben Gardane leben vom Verkauf geschmuggelten Produkten aus dem Nachbarland. Benzin, Elektronikartikel, Konserven kommen normalerweise über die Grenze. Ben Gardane ist das Einkaufsparadies in Südtunesien. Viele Libyer kommen hier durch, um sich in Privatkliniken in Sfax, weiter im Norden, behandeln zu lassen. Jetzt wo im Reich von Gaddafi Bürgerkrieg herrscht, ist es damit vorbei.

Die Besitzer der Wechselstuben entlang der Hauptstraße warten vergebens aus Kunden. Der Preis für geschmuggeltes Benzin ist von umgerechnet 5 Euro für 20 Liter auf 12 Euro gestiegen. Wäre es nicht wegen der Journalisten, die über das Flüchtlingsdrama berichten, ständen auch die Restaunarant und Hotels völlig leer.

„Sicher wird es in einem neuen, demokratischen Tunesien mit dem Schmuggel nicht so weitergehen wie bisher“, sagt Jelel. Schließlich lebt das Grenzgeschäft von Korruption und Bestechung und die soll bekämpft werden. „Wir hoffen auf Investitionen für den Süden. Wir haben herrliche Strände, die Wüste, es fehlt nur an Infrastruktur“, sagt Jelel.

Eines der Mitglieder des Revolutionskomitees, ein pensionierter Offizier der Kriegsmarine, holt ein Blatt heraus und zeichnet die Karte Tunesiens. Dann zieht er einen Strich, der den Süden und das Landesinnere vom Norden und den Touristenhochburgen trennt. „Tunis 7“ nennt er den reichen Teil des Landes, und spielt damit auf den Staatsstreich Ben Alis am 7. November 1987 an. „Tunis 0“ nennt er den Rest. Damit müsse jetzt Schluss sein.

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