© 2007 Reiner Wandler

Unfreundliche Autofahrer


Unfreundlicher geht es nicht. Die meisten spanischen Autofahrer fahren prinzipiell weiter, wenn sie an einer Panne vorbeikommen. Und lernfähig ist der Iberer auf vier Rädern auch nicht. Je mehr Strafzettel er bekommt, um so schlechter fährt er. Parken in doppelter Reihe, auf Behindertenstellplätzen oder in Busspuren ist ebenso an der Tagesordnung, wie das Nichtbeachten der Fußgängerüberwege oder der roten Ampel. Jeder vierte sieht solches Verhalten als normal an. Es fehlt am Unrechtsbewusstsein. Während weit über 90 Prozent Sexualdelikte oder Mord als „sehr schlimme Delikte“ einordnen, tun dies nur 74 Prozent bei gefährlichem Verhalten im Straßenverkehr. Nur 65 Prozent halten es für ein Vergehen, sich der Alkohol- oder Drogenprobe zu widersetzen. Nur in Sachen Selbstbewusstsein schlägt den spanischen Fahrer so schnell keiner. 91,7 Prozent glauben, sie seien ein sozialer Fahrer. Das ergibt eine Umfrage der Universität Valencia.

Diese Einstellung schlägt sich in der Unfallstatistik nieder. 4104 Menschen verloren im vergangenen Jahr ihr Leben auf Spaniens Straßen. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl schneiden nur Portugal und Griechenland schlechter ab. Vor jedem langen Wochenende, vor Weihnachten, Ostern und dem Sommerurlaub strahlt das Fernsehen Spots der spanischen Verkehrswacht aus, die zum sicheren Fahren animieren sollen. Vergebens. Die Zahl der Todesopfer ist Wochenende für Wochenende zweistellig. Der Regelverstoß ist Volksport.

Über 20 Jahren nach Einführung der Anschnallpflicht ist jeder dritte Unfalltote ohne Gurt unterwegs gewesen. An knapp einem Drittel der tödlichen Unfälle ist überhöhte Geschwindigkeit schuld. Außerdem schaut keiner in Europa so gerne und so tief ins Glas, bevor er in den Wagen steigt, wie der Spanier. Bei knapp 30 Prozent der tödlichen Unfälle war Alkohol mit am Steuer.

Spaniens Behörden sind ratlos. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde der Punkteführerschein eingeführt. Es nutzte nichts. Im Sommer 2007 starben mehr Menschen im Straßenverkehr als vor dem neuen Führerschein. Jetzt werden die Strafen verschärft. Für Rasen gibt es Knast. Doch das wird die Unfallstatistik kaum beeinflussen. Denn um vor den Richter zu kommen, muss der Betroffene in der Stadt mit mehr als 90 km/h geblitzt worden sein. Auf der Landstraße mit mehr als 169 statt 100, und auf der Autobahn muss der Fahrer statt 120 mindestens 190 auf dem Tacho haben. Darunter gibt es nur eine Geldbuße. Radarfrühwarngeräte werden überall angepriesen. Sie dürften diese Weihnachten zu einem der begehrtesten Geschenken gehören.

Am meisten zu tun hat die Polizei in Ballungsgebieten. Denn hier ist – so fand es die Umfrage der Universität Valencia heraus – der größte Feind des zivilisierten Fahrens zu Hause, die Eile. 176 Millionen Strafzettel stellen die Beamten in Madrid jährlich aus. Kontrolliert wird die Höchstgeschwindigkeit in dem weiten Tunnelnetz der Stadt und das Falschparken. Denn dieses „Kavaliersdelikt“ bringt Spaniens Hauptstadt zum Kollabieren. Überall stehen Autos in zweiter oder gar dritter Reihe. Aus breiten Boulevards wird so schnell ein Nadelöhr.

Madrids Fahrer zeigen sich in der Studie der Valencianer als mit am unsozialsten in ganz Spanien. So mancher Kommunalpolitiker unterstützt das fehlendem Sozialverhalten in der Hoffnung auf Wählerstimmen noch. So machen Kommunisten und Sozialisten in Madrid gegen den konservativen Bürgermeister mit der Verkehrspolitik Opposition. Die verstärkten Kontrolle des Straßenverkehrs sei eine neue Art den Bürger per Strafzettel zu schröpfen und müsse deshalb gelockert werden.

Was bisher geschah: