© 2011 Reiner Wandler

Die Kosten der Revolution

Taxifahrer Ramzi und Touristenführer Mohamed Ali haben eines gemeinsam. Sie treten sich stundenlang die Füße platt. Der eine geht die Empfangshalle des Flughafens der tunesischen Hauptstadt Tunis auf und ab. Wer ausländisch aussieht, wird angesprochen und dann an der Schlange der Kollegen vorbei geschleust, die draußen vor dem Gebäude brav auf Kundschaft warten. Der andere ist auf der Prunkstraße Avenue Habib Bourguiba unterwegs. „Ich kenne die Altstadt perfekt, ihre Geschichte, die schönsten Orte“, bietet er sich auf französisch englisch, italienisch und etwas deutsch an.

Nur selten finden die beiden Kundschaft. Es steht noch immer schlecht um den Tourismus in Tunesien, obwohl das Land neun Monate nach dem Sturz des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali weitgehend stabil ist und am kommenden Sonntag die ersten freien Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung stattfinden werden. Die Zahl der Touristen ist im Zeitraum von Januar bis Oktober um 34,4 Prozent zurückgegangen. Das zeigt ein Bericht des Tourismusministeriums, das erstmals seit den bewegten Januartagen Bilanz zieht. Diejenigen, die kommen bleiben weniger Tage. So sind die Übernachtungen gar um 42,6 Prozent gesunken. Im Februar, dem ersten Monat nach der Revolution kam der Sektor fast ganz zum Erliegen. Zwei Drittel der üblichen Besucher blieben aus. Im März waren es noch immer über die Hälfte. Die Hotelbranche hat dadurch Einahmen von knapp einer Million Euro verloren. 24 Hotels mit insgesamt 7.500 Betten schlossen. 3.000 feste Arbeitsplätze gingen verloren. 22.000 Saisonarbeiter wurden gar nicht erst eingestellt. Tunesier, die wie Ramzi oder Mohamed Ali auf eigene Rechnung arbeiten, werden gar nicht gezählt.

Taxifahrer Ramzi wartet auf die Rückkehr der Kreuzfahrtschiffe. Er gehörte zu den Taxifahrern, die einen Zugang zum Hafen nördlich von Tunis haben. „Die Passagiere kommen vom Schiff und wollen in wenigen Stunden so viel wie möglich sehen.“ Ramzi fährt sie herum. Zwar musste er vor der Revolution ordentlich Bestechungsgelder an den örtlichen, korrupten Spross des Ben-Ali-Clans und dessen Umfeld abgeben, „aber ich verdiente deutlich mehr als ein Fahrer in der Stadt“, berichtet er. Das mit dem Flughafen bringt wenigstens etwas Geld in die Kasse.

Auch Mohamed Ali hat kaum Arbeit. „Es kommen fast nur Geschäftsreisende nach Tunis, und die wollen nicht in die Altstadt“, erzählt er. „Wenn ich nicht arbeite, esse ich nicht“, sagt er bevor er weiterzieht.

Nicht nur, dass die Arbeitslosigkeit in Tunesien seit Januar von offiziell 14 auf 19 Prozent gestiegen wäre, auch die Lebensmittelpreise gingen in die Höhe. Immer wieder legen Streiks ganze Branchen lahm. Auch die Produktion und Vertriebswege von Lebensmitteln sind davon betroffen. Manche Grundnahrungsmittel sind knapp und müssen für teures Geld eingeführt werden. Gleichzeitig stiegen die Exporte ins benachbarte Libyen. 30 Prozent der tunesischen Lebensmittelproduktion gehen auf dem Landweg über die Grenze, seit die See- und Luftwege durch den dortigen Krieg behindert sind und Libyen kaum mehr Zugang zu anderen Märkten hat. All das wirkt sich auch auf die Preise in Tunesien aus. Sie stiegen alleine im September um 0,6 Prozent. Das ist doppelt so viel wie im selben Monat des Vorjahres. In den ersten drei Quartalen 2011 beträgt die Preissteigerung damit 2,5 Prozent.

Insgesamt hat Tunesien hat nach Angaben des Internationalen Währungsfonds zwei Milliarden Dollar – das entspricht 5,2 Prozent des BIP – seit der Revolution verloren. In der gesamten arabischen Welt kostete die Protestwelle 55 Milliarden Dollar.

Viele Reisenden trauen dem Frieden in Nordafrika auch neun Monate nach den Umstürtzen in Tunesien und Ägypten noch nicht. „Die Verkäufe bleiben von den Unruhen in diesen Ländern Anfang des Jahres stark beeinflusst“, heißt es in einer Erklärung von Tui Travel. Bei den Schweizer Kunden betrug das Minus für alle Ziele ein Zehntel, der Absatz in Deutschland ging um drei Prozent zurück. In Großbritannien zog das Unternehmen sieben Prozent seiner Kapazitäten aus Nordafrika ab.

Nur Marokko konnte sich einigermaßen am Markt halten. Trotz des Bombenanschlages auf ein berühmtes Kaffeehaus in Marrakesch im April und der Tatsache, dass der Fastenmonat Ramadan mit der Hauptreisezeit im August zusammen viel, ging der erwartete Zuwachs im Geschäft mit dem Tourismus nur leicht zurück. Die Branche in Marokko legte statt der vorhergesagten sechs Prozent um rund 4,5 Prozent zu. Dies geht aus Zahlen hervor, die das Tourismusministerium in Rabat Ende September veröffentlichte. „Marokko ist das einzige Reiseziel in der Region das mit erhobenen Haupt wegkommt“, erklärte Minister Yasser Znagui anläßlich einer Tourismusbörse in Frankreich.

Der eigentliche Gewinner der schwierigen Situation auf der Südseite des Mittelmeeres ist Spanien. Die Branche wuchs dort völlig unerwartet um 2,6 Prozent – vier Mal so viel wie erwartet.

Was bisher geschah: