© 2011 Reiner Wandler

Der Königs neue Kleider

Marokko König Mohamed VI. machte es vor, sein Volk tat es ihm nach. Am Freitag schritt der 47-jährige Monarch an die Urne und stimmte mit Ja für seine neuen Verfassung. 98,5 Prozent entschieden ebenso und nahmen damit den Text an. Die Wahlbeteiligung lag laut Innenministerium bei 73,5 Prozent.

Die Verfassung, die ein von König Mohamed VI. nach den ersten Großdemonstrationen der Demokratiebewegung im Frühjahr ins Leben gerufene Expertenkomitee ausgearbeitet hatte, sieht eine zaghafte Kompetenzverlagerung vom Monarchen auf den Regierungschef und das Parlament vor. Künftig ist Mohamed VI. nicht mehr „heilig“ sondern nur noch „unantastbar“. Oberbefehlshaber der Armee, Chef der Justiz und der Rates für innere Sicherheit und – fast noch wichtiger in einem so traditionellen und religiösen Land wie Marokko – „Führer aller Gläubigen“ bleibt er weiterhin.

In Europa und denn USA wurde das Abstimmungsergebnis mit Zufriedenheit aufgenommen. Nach den Revolutionen in Tunesien im Januar 2011 und in Ägypten im Februar erhoffen sich die westlichen verbündeten Rabats Stabilität und Ruhe von der königlichen Reform. Für die EU-Außenministerin Catherine Ashton ist die neue Verfassung „eine bedeutende Antwort auf die legitimen Wünsche des marokkanischen Volkes“ und stehen „im Einklang mit Marokkos Fortgeschrittenem Status mit der EU“. US-Außenministerin Hillary Clinton verspricht Rabat die Unterstützung der USA bei den Bemühungen, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu stärken und auf eine „langfristige demokratische Reform“ mit einer Gewaltenteilung hinzuarbeiten. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy tat es ihr gleich und Nachbar Spanien lobte Marokko für den Weg zu einer parlamentarischen Demokratie.

Neben zaghaften Reformen im politischen System des Landes, schreibt die neue Verfassung die Gleichheit von Mann und Frau fest und erhebt die Sprache der Berber neben dem Arabischen zur offiziellen Sprache Marokkos.

Alle im Parlament vertretenen Parteien, die Regierung, die meisten großen Organisationen des Landes, sowie die Vorbeter in den Moscheen, die staatlichen Medien und die großen Tageszeitungen hatte für das „Ja“ zum Text geworben. Die Demokratiebewegung 20. Februar – so benannt nach dem Tag der ersten Großdemonstrationen – eine der Gewerkschaftszentralen des Landes, die CDT, mehrere linke Parteien, sowie die größte islamistische Organisation, die illegale, aber geduldete Al Adl Wal Isshane (Gerechtigkeit und Spiritualität) riefen zum Boykott und nicht zum „Nein“. Sie entschieden sich für diese Haltung weil sie keinerlei Zugang zu den Medien hatten und statt einer „aufdiktierten Reform“ eine verfassungsgebende Versammlung anstreben. Seit Mohamed VI. die Reform in einer Fernseh- und Rundfunkansprache vorstellte, bis zur Abstimmung am Freitag vergingen gerade einmal zwei Wochen. Laut Opposition sollen drei Millionen Marokkaner nicht einmal ins Wahlregister eingeschrieben sein.

„Jetzt sind wir eine Bananen-Monarchie“, lautete einer der ersten Reaktionen auf vorläufige Ergebnis auf der offiziellen Facebookseite der Bewegung 20. Februar. Die hohe Wahlbeteiligung verwundert. Denn in Marokko gehen je nach Urnengang normalerweise nur 40 bis knapp über 50 Prozent der Wahlbeteiligten zur Wahl. Es gibt kaum Bilder von langen Schlangen, die für eine hohe Beteiligung sprechen würden. Mitglieder der Bewegung 20. Februar und auch internationale Zeugen des Wahltages berichten stattdessen von leeren Wahllokalen. In einigen Quartieren der größten Stadt des Landes, Casablanca, berichten Aktivisten des 20. Februar von einer Beteiligungen von unter 30 Prozent. Mancherorts seien weder Ausweise noch Wahlberechtigungsscheine verlangt worden. Erstmals durften auch die im Ausland lebenden Marokkaner abstimmen. Selbst in den Fährhäfen in Südfrankreich und Südspanien, von wo dieser Tage viele Emigranten zu Jahresurlaub in ihrer Heimat übersetzten, wurden Wahllokale errichtet.

„In einem halbwegs normalen Land, ist der Staat bei Wahlen neutral“, beschwert sich der regimekritische Journalist Ali Lmrabet, er prophezeit, dass die Proteste weitergehen und gar an Kraft gewinnen werden. „Die Büchse der Pandora wurde an jenem Tag geöffnet, als ein junger Tunesier sich selbstverbrannte und machte damit seiner Verzweiflung Luft. Es entwich der kleine Geist der Freiheit. Versuchen Sie ihn mal wieder einzusperren“, schreibt er. Für Sonntag Abend kündigte die Bewegung 20. Februar weitere Protestmärsche an. Das alte und neue Motto: „Keine Zugeständnisse!“

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