© 2011 Reiner Wandler

Tunesiens vernetzte Jugend

Wer wissen will, was in Tunesien geschieht ist auf das Internet angewiesen. Die Presse wird zu den Unruheherden nicht durchgelassen. Doch die Jugendrevolte läuft fast in Echtzeit über Twitter. Der wichtigste Kanal – zumindest auf französisch – heißt tunisielibre oder tunisiefree. Als Avatar dient eine Fahne des Landes, die völlig blutverschmiert ist. Lange bevor die internationalen Presseagenturen von toten Demonstranten aus den Städten im Zentrum Tunesiens berichteten, liefen erste Zahlen über diesen Kanal. „Massaker“ lautete der Tweet. Später sollten sich die traurigen Nachrichten nach und nach exakt so bestätigen. Wer hinter dem Twitterkanal steckt weiß keiner. Nur, das die Person nicht im Lande ist, soviel lassen die Tweets durchblicken.

Auch nawaat.org tweetet ununterbrochen. Die Web-Seite der tunesischen Opposition hat sich auf Videos von überall im Lande spezialisiert. Egal wo es zu Demonstrationen gegen „Zinochet“ kommt, wie die Jugendlichen den seit 23 Jahren regierenden Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali nennen, nutzen online-Reporter ihr Handys zum filmen und stellen die Schnipsel dann online. Schüsse sind zu hören, Steinewerfer zu sehen. Und es gibt Szenen, die überraschen. So stellte sich in Sidi Bouzid die Armee zwischen die Demonstranten und die Polizei.

Die Videos werden auf allen möglichen Plattformen veröffentlicht. Youtube ist die beliebteste, aber auch Vimeo und andere werden immer mehr genutzt. Denn Youtube hat begonnen das Geschehen zu zensieren. Videos aus Krankenhäusern auf denen zu sehen ist, wie Jugendliche mit schweren Schussverletzungen eingeliefert werden, waren für die größte Video-Plattform im Netz zu brutal.

Trotz allem haben die Tunesier ihren Sinn für Humor nicht verloren. Der Link zu den Guignols – den mit Puppen nachgespielten Nachrichten – beim französischen TV-Sender Canal+ machten am Dienstag Abend die Runde. „Ben Ali Baba im Fernsehen“, hieß der tweet. Der tunesische Präsident wurde dort als „Idol der Jugend“ vorgestellt und erklärt, wie er 300.000 Jugendliche Arbeitslose von der Straße bringen. Er habe 300.000 Särge anfertigen lassen.

Wer einmal mit der Twitterrecherche angefangen hat, den lässt die Fülle von Nachrichten, Demoaufrufen, Meinungen und Gerüchte nicht mehr los. Alle Welt tweetet und retweetet. Es sind Tausende von Einträgen, die sich querverlinken. Obwohl das Regime immer wieder Accounts hackt und unbrauchbar macht, ist die Flut nicht einzudämmen. Da werden Demotreffpunkte bekanntgegeben. Aufrufe zum Blutspenden in völlig überfüllten Krankenhäusern gepostet oder einfach nur die internationale Gemeinschaft um Hilfe gebten oder Hoffnung gemacht: „Der Countdown für die Nach-Ben Ali Ära läuft“, hieß es am Dienstag Abend bei nawaat.

Tunesiens Opposition nutzt seit Jahren das Netz. Das Internetradio Kalima hat überall Freiwillige, die Beiträge und Nachrichten liefern. Sie erscheinen dann auf arabisch und mit einiger Zeitverzögerung auch auf französisch und englisch. Die jungen Tunesier sind auch in der Bloggerszene aktiv. Slim Amamou und Azyz Amamy haben es dabei zu einem regelrechten Starstatus gebracht. Sie schreiben unter anderem bei Global Voice gegen die Zensur an.

Mindestens vier Blogger wurden in den letzten Tagen verhaftet. Darunter auch Azyz Amamy und Slim Amamou. „Ich erhöhe meine Gefahrenstufe auf orange. Die Flics suchen mich offenbar“, tweetete Amamou (slim404) am 6. Januar. Kurz darauf verschwand er. Die Anwendung FourSquare auf seinem iPhone, die Freunden den Aufenthaltsort übermittelt, verriet was geschehen war. Slims Avatar tauchte plötzlich auf dem Stadtplan von Tunis auf – im Innenministerium in der Avenue Habib Bourguiba im Zentrum der tunesischen Hauptstadt.

Was bisher geschah: