© 2010 Reiner Wandler

Arme Eröffnung

José Manuel Durao Barroso nahm kein Blatt vor den Mund, als er gestern in Madrid das „Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ eröffnete. Die Armutszahlen der Union seinen „eine Schande“, erklärte der Präsident der EU-Kommission. Jeder im Saale wusste von was der portugiesische Konservative sprach. Der EU-Kommissar für Beschäftigungspolitik, Soziales und Gleichstellung, der Tscheche Vladimir Spidla hatte die Zahlen bereits im Vorfeld bekanntgegeben.

Demnach lebt jeder sechste Europäer unter der Armutsgrenze, also mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens im jeweiligen Land. 80 Millionen EU-Bürger wissen damit nicht, wie sie mit ihrem Geld bis zum Ende des Monats kommen sollen. Am meisten betroffen seien „ältere Menschen, Behinderte, Arbeitslose und Frauen“, erklärte der Gastgeber, Spaniens Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero, dessen Land derzeit die EU-Präsidentschaft inne hat. Er machte einen Aufruf an die Solidarität aller, angesichts der „schweren Krise, die noch einige Zeit anhalten wird“. Acht Millionen Europäer hätten dadurch ihre Arbeit verloren. Zapatero prophezeite schwierige Zeiten, denn „2025 wird jeder dritte EU-Bürger älter als 65 sein“.

Wie die EU damit umgehen müsse, diese Antwort blieb Starredner Felipe González schuldig. Der spanische Sozialist, der Spanien vor 25 Jahren in die EU führte, hat heute den Vorsitz des so genannten „Rat der Weisen“ inne hatte. „Ich werde aber nicht in dieser Funktion sprechen“, erklärte er, denn er wolle die Arbeit der Reflektionsgruppe nicht vorwegnehmen. González lobte die EU für das beste Sozialsystem weltweit, lass allerdings den 27 auch die Leviten. Anders als in den frühen Jahren der Union „als es eine einheitliche Industriepolitik gab“, hätten während der Krise jeder seine eigene Politik verfolgt. Ohne eine „Wirtschaft, die Wert schöpft, ist eine Politik der sozialen Kohäsion nicht möglich“, mahnte González.

Wer allerdings auf konkrete Maßnahmen gegen die Armut hoffte, sah sich enttäuscht. Nur sieben Mitgliedsländer waren überhaupt mit einem Minister vertreten. Der Rest delegierte das Thema an Staatssekretäre. Sie debattierten mit den anwesenden Vertretern der Zivilgesellschaft brav über das, was ihnen Barroso vorgegeben hatte: „Das Jahr gegen die Armut soll als Katalysator dienen, um die Sensibilität gegenüber dem Thema zu erhöhen und eine Gesellschaft der Eingrenzung anregen.“

Das Europäische Armutsjahr wird die EU 17 Millionen Euro kosten. Damit wird neben der gestrigen Eröffnungskonferenz ein Abschlussgipfel im Dezember in Brüssel organisiert, Künstlerinitiativen und zwei „Sensiblisierungswochen“ in den 27 EU-Staaten sowie in Norwegen und Island gefördert und ein Journalistenpreis ausgeschrieben.

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