© 2009 Reiner Wandler

In die eigene Tasche

Bartomeu Muñoz verstand es seine Wähler zu begeistern. Santa Coloma de Gramenet werde endlich eine normale Stadt, mit modernen Gebäuden, Hotels und großen Freizeitzentren. „Wir werden erstmals in den Architekturzeitschriften erscheinen“, versprach Bürgermeister Muñoz. In die Presse sollte es der 120.000 Einwohner zählende Vorort Barcelonas tatsächlich schaffen. Doch nicht etwa als Beispiel besonderer Architektur, sondern wegen Baukorruption. Seit Tagen ziert Santa Coloma die Titelblätter fast aller spanischen Tageszeitungen. Muñoz muss sie im Gefängnis lesen. 45 Millionen Euro soll der Sozialist zusammen mit vier Komplizen unterschlagen haben. Unter den Mitbeschuldigten befinden sich zwei ehemalige, hohe Regierungsbeamten Kataloniens.

Der Trick war einfach. Mitten im Bauboom, der Spaniens Wirtschaft im letzten Jahrzehnt bestimmte, legte die Gemeinde Bebauungspläne auf und verkaufte die dazugehörigen Grundstücke an einen Unternehmer, der einst als Sozialist im Autonomieparlament saß. Dieser baute nicht, sondern wartete ab. Die Gemeindeverwaltung änderte in der Zwischenzeit den Bauplan zugunsten des Bauherrn. Noch mehr Wohnungen konnten damit errichtet werden. Die Grundstücke stiegen im Preis und wurde an einen echten Bauunternehmer weiterverkauft. Die Extra-Millionen teilten sich Bürgermeister und Komplizen auf.

Santa Coloma ist kein Einzelfall. In den letzten Wochen und Monaten werden immer öfter Bürgermeister verhaftet. Ob auf den Balearischen Inseln, in der Provinz von Zaragoza, wo Windparks für unverhofften Reichtum sorgten, oder im für seine Gewächshäuser bekannten südspanischen El Ejido, die Bilder gleichen sich. Polizeibeamte nehmen hohe Würdenträger fest und schaffen kistenweise Beweismaterial aus Amtsstuben und Privatwohnungen ins Gericht.

Alle wichtigen Parteien Spaniens sind betroffen. Doch die konservative Partido Popular sieht sich den größten Untersuchungen ausgesetzt. Unternehmer aus dem Umfeld des Vorstandes der Oppositionspartei sicherten sich lukrative Parteiaufträge und vermittelten Baugrundstücke überall im Land, wo die PP das Sagen hat. Am stärksten betroffen sind die Region Valencia und Madrid. In Valencia musste der regionale Generalsekretär der Konservativen den Hut nehmen. Und in Madrid wird gegen mehrere Regionalparlamentarier und mehrere Bürgermeister ermittelt.

28 größere Korruptionsverfahren sind derzeit bei der spanischen Justiz anhängig. Insgesamt sollen die Beschuldigten 4,1 Milliarden Euro in die eigenen Tasche gewirtschaftet haben. „Das ist doppelt so viel, wie die Regierung in einem Jahr für Forschung ausgibt (…) und mehr als die UNO für die beiden Jahre 2008 und 2009 zur Verfügung hat“, schreibt die Tageszeitung El Mundo.

Die Baukorruption hat Spanien in der Liste von Transparency International von Platz 23 im Jahr 2005 auf Platz 28 im Jahr 2009 abrutschen lassen.

„Die große Zahl von schweren Korruptionsskandalen, in die (…) die wichtigsten Parteien verwickelt sind, beschädigt nicht nur den Ruf der Politiker sondern auch das Vertrauen der Bürger in die Institutionen“, schreibt die größte spanische Tageszeitung El País. Die neueste Umfrage des Spanischen Zentrums für soziologische Forschung (CIS) bestätigt dies. Nach den wichtigsten Problemen befragt, liegen die politische Klasse und die Parteien auf Platz 4, noch vor dem Terrorismus von ETA und hinter der Arbeitslosigkeit, wirtschaftlichen Nöten und der Einwanderung. Am vergangenen Wochenende nahmen in Valencia Zehntausende an einer Demonstration gegen die Korruption teil, die über Facebook organisiert worden war.

Die Korruption habe nicht zugenommen, sondern die Staatsanwaltschaft habe ihre Arbeit verbessert, versuchte Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero den Vorstand seiner sozialistischen PSOE laut Presseberichten nach der Veröffentlichung der CIS-Umfrage zu beruhigen. Er verspricht zusammen mit der Opposition härtere Gesetze ausarbeiten zu wollen.

Was bisher geschah: