© 2008 Reiner Wandler

Prustend und hustend ins neue Jahr

Geschafft. Die Silvesternacht wäre wieder einmal heil überstanden. Nein, das Problem war nicht etwa der übermäßige Konsum von Wein, Cognac oder Sekt, sondern deren Rohstoff, die Trauben. Genauer gesagt zwölf davon. Die nämlich gilt es in Spanien Punkt Mitternacht zu verspeisen, zu jedem Glockenschlag eine.

Diese Art, das Glück für die kommenden zwölf Monate heraufzubeschwören, ist nicht ganz ungefährlich. Das Traubenschlingen könnte schnell zu einem Stau von Haut und Kernen im Rachenraum führen. Das Ritual zu Ehren von Fortuna müßte laut prustend abgebrochen werden. Das kommenden Jahr wäre somit zum Scheitern verurteilt. Damit es nicht soweit kommt, sorgen viele silvestererfahrene Spanier vor. Fein säuberlich wird Traube für Traube geschält, allzu große Kerne entfernt. Der Rest sollte selbst für ungeübte Rachen kein Problem mehr sein.

Den Rhythmus zum Traubenschlucken gibt die Uhr auf dem Turm des Gebäudes der Madrider Regionalregierung am Platz Puerta de Sol vor. Wer im Lande weilt und nicht vor Ort sein kann, schaltet dazu das erste Programm des Fernsehers ein. Wer weit von den Seinen feiern muß, dem sei der spanische Weltsender auf Kurzwelle empfohlen.

Um nationale Katastrophen schon in den ersten paar Sekunden des neuen Jahres auszuschließen, manipuliert Uhrmacher Jesús López-Terradas jedes Jahr kurz vor Mitternacht das altehrwürdige Räderwerk der bekanntesten Uhr Spaniens. Die Schläge werden so verlangsamt. „36 Sekunden vom ersten bis zum letzten, das sollte ausreichen, damit jeder die Trauben in aller Ruhe aufessen kann“, meint er. Und trotzdem kommt es immer wieder zu Erstickungstoten ersticken in der Silvesternacht.

Einmal prustete hal Spanien. Der Uhrmacher hatte seinen wichtigen Eingriff nicht vorgenommen: Silvester 1996. Die Uhr war gerade renoviert worden. López-Terradas hatte Angst, durch das Einhängen seines selbstgebauten Verzögerungsgewichtes den Zahnrädern Schaden zuzufügen. 18 Sekunden und der Zauber war vorbei. Ganz Spanien saß entsetzt vor einem halbvollen Traubenschälchen. Einige Verwegene zogen am Neujahrstag, zwölf Uhr mittags, zur Puerta de Sol, um den Rest einzunehmen. Ob Fortuna das erlaubt, sei dahingestellt.

Der Brauch geht übrigens auf das Jahr 1909 zurück. Eine mehr als gute Traubenernte musste an den Kunden gebracht werden. Die Unternehmer erfanden die Geschichte von den glückbringende 12 Trauben.

Was bisher geschah: