© 2007 Reiner Wandler

Die Sonne geht im Osten auf


Langsam verwandelt sich das Dunkel des Horizonts in einen orange Streifen – dort weit im Osten, wo Himmel und Atlantik ineinander übergehen. Der Atem geht schnell. Die Luft hier oben in 3.718 Meter Höhe ist dünn. Und als wäre das nicht genug, steigen überall kleine Rauchsäulen auf. Der Schwefelgeruch beißt in den Bronchien. Der Teide, Spaniens höchster Berg auf der Kanareninsel Teneriffa, ist ein Vulkan. Er ist unterirdisch noch immer aktiv. Plötzlich wird der Streifen am Horizont in der Mitte heller. Die Sonne bricht als helle Scheibe durch. Applaus, Jubelrufe – dann wieder Stille.


Alle Augen richten sich jetzt auf die andere Seite des Berges. Dort wächst der riesige, dreieckige Schatten des Vulkans weit über die Insel hinaus aufs offene Meer. Aus den über 2.000 Meter tiefer gelegenen Wolken ragen andere Kanarische Inseln: La Gomera, Gran Canaria, Fuerteventura, El Hierro.


Der Aufstieg auf den Teide begann am Vorabend am Kilometer 41 der Landstraße durch die Cañadas, der Lavaebene rund um den Vulkan. 2.399 Meter zeigt das Schild auf dem Parkplatz. Das erste Etappenziel, die Hütte Alta Vista, lieht 3.260 Meter hoch – ein zweieinhalbstündiger Aufstieg steht bevor. Langsam windet sich der Weg die sandigen Hänge zum ersten Ziel hinauf – der Montaña Blanca, dem Weißen Berg. Von hier aus gesehen, ist der Vulkan eine perfekter Kegel – wie Kleinkinder Berge zeichnen.
Überall an den Hängen zeugen Lavafelder von vergangenen Ausbrüchen. Die letzte große Eruption fand Ende des 18. Jahrhunderts statt. Am Rande eines manta (Decke), wie die Einheimischen die erstarrten Gesteinsströme nennen, gewinnt der Pfad schnell an Höhe. Es ist ein ungewohntes Gefühl, auf diesem Gestein zu gehen. Faustgroße Steine kullern bei der flüchtigsten Berührung einfach weg, ballgroße Felsen halten dem Gewicht nicht stand. Die Lavasteine sind viel leichter als alles, was ein Bergwanderer sonst gewohnt ist.


Nach einer kurzen und dank der Höhenluft unruhigen Nacht geht es im Licht der Stirnlampen los. Der Aufstieg ist einfach, der Weg zwischen den Felsen leicht zu finden. Die sind hart gefroren. Es ist kalt. Inzwischen ist starker Wind aufgekommen. Auf halber Strecke geht es vorbei an der Bergstation der Seilbahn (3.555 Meter). Ab hier ist der Zugang zum Gipfel nur mit Genehmigung erlaubt, die bei der Verwaltung des Naturparkes in der Inselhauptstadt Santa Cruz beantragt werden muss. Das wird jedoch nur von 9 bis 16 Uhr kontrolliert – wenn die Seilbahn offen ist. Wer früher kommt, hat freien Weg. Ein kurzer, letzter Anstieg führt auf einem gut ausgebauten Weg hinauf zum Krater, dem Dach Spaniens, dem wohl ruhigsten Platz im Urlaubsparadies Teneriffa.
Erst zwei Stunden später treffen die ersten Touristen mit der Seilbahn ein. Die gleiche Gondel bringt die Frühaufsteiger zurück zu den Cañadas. Von dort geht es zurück in eine völlig andere Welt – zum Teneriffa der lauten Bettenburgen unten am Strand.

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