Der von Madrid abgesetzte katalanische Regierungschef Carles Puigdemont fühlt sich verraten. „Das hier ist vorbei. Sie haben uns geopfert“, textete er. Ein Privatsender machte die Nachricht öffentlich. Kameraleute hätten das Handy fotografiert, als der Adressat die Nachricht las. Puigdemont reagierte damit auf die Entscheidung des Präsidenten des katalanischen Autonomieparlaments, Roger Torrent, die Sitzung auf der er erneut zum katalanischen Regierungschef gewählt werden sollte, so lange zu vertagen, bis das Verfassungsgericht in Madrid endgültig über seine Kandidatur entschieden hat. Wie dieses Urteil aussehen wird, daran besteht kein Zweifel. Denn die konservativen Richter haben eine breite Mehrheit im Verfassungsgericht.
Parlamentspräsident Torrent gehört zur Republikanischen Linken Kataloniens (ERC). Die Vertagung wird deshalb allgemein als Zeichen der Spaltung im Lager der Unabhängigkeitsbefürworter gewertet. Puigdemont wurde mit seiner „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) entgegen aller Umfragen bei den Wahlen am 21. Dezember stärkste Kraft im Unabhängigkeitslager. ERC hat diesen Schlag bis heute weder verdaut und noch verziehen. ERC will Puigdemont wohl endgültig loswerden und damit zurück in den von Madrid diktierte Rechtsrahmen.
Die Regierung Rajoy jubelt angesichts dieser Spaltung. Die gleiche Regierung, die sich vor den Wahlen am 21. Dezember damit brüstete die „Unabhängigkeitsbewegung enthauptet“ zu haben, verlangt jetzt einen anderen Kandidaten als Puigdemont, einen der „dialogbereit“ sei und das „Recht respektiere“ – ohne freilich selbst Angebote zu machen, über die verhandelt werden könnte.
Doch was Rajoys Partido Popular sowie die sozialistische PSOE und die rechtsliberalen Ciudadanos, die ebenfalls die Zwangsverwaltung Kataloniens unterstützten, übersehen: Egal wie der Parteienstreit endet, die Unabhängigkeitsbewegung ist mehr. Es sind Hunderttausende von Menschen, die in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Straße gingen, und es sind die über zwei Millionen, die trotz brutaler Repression beim Referendum am 1. Oktober für die Loslösung von Spanien stimmten. Sie haben erreicht, dass die Parteien überhaupt so weit gingen, wie sie in den letzten Monaten gegangen sind. Der vermeintlich Sieg, den Madrid feiert, könnte sich deshalb schon bald als Pyrrhussieg erweisen.
Und dass es ausgerechnet ERC war, die Puigdemont einst als „Judas“ und „Verräter“ beschimpfte, als er Ende Oktober Neuwahlen ausrufen wollte anstatt die einseitige Unabhängigkeit zu verkünden, ist angesichts der Entwicklung eine traurige Fußnote der Geschichte, über die in nicht so fernen Tagen die Wähler zu befinden haben werden.