Die algerische Islamische Heilsfront (FIS) könnte bald schon ins politische Leben zurückkehren. Madani Mezrag, der ehemalige Chef der Armee des Islamischen Heils (AIS), des bewaffneten Armes der 1992 nach ihrem Wahlsieg verbotenen FIS, plant eine neue politische Formation – die Front für Aussöhnung und Heil (FARS). Das Ziel des 54-jährigen Mezrags: Er will als Nachfolger für den schwerkranken Staatspräsidenten Abdelaziz Bouteflika kandidieren. „Es ist an der Zeit aus der Vergangenheit herauszutreten“, erklärt Mezrags und verspricht eine Organisation, die erneut versuchen will Algerien zu einem Staat zu machen, der sich auf das islamische Recht, statt auf eine republikanisch säkulare Ordnung stützt.
Der Bürgerkrieg zwischen Islamisten und Armee forderte in den 1990er Jahren rund 200.000 Tote. Nach Waffenstillstandsverhandlungen Mezrag mit der Armeeführung 1997 erließ der damalige und heutige Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika im Januar 2000 ein Aussöhnungsgesetz, eine Amnestie für 5.000 AIS-Kämpfer. In diesem Gesetz wird ihnen ausdrücklich jegliche politische Betätigung untersagt.
Mezrag bereitet dennoch – so erklärt er in einem Anfang der Woche im Netz verbreiteten Video – den Gründungskongress für seine Partei vor. Das Projekt an sich hatte er bereits Mitte August erstmals auf einer „Sommeruniversität“ irgendwo in den Wäldern nahe dem westalgerischen Mostaganem vorgestellt. Dort versammelte der einstige Oberbefehlshaber der Rebellentruppen AIS ungehindert seine engsten Vertrauten. Bereits vor einem Jahr hatte Mezrag ein ähnliches Treffen abgehalten, damals unweit seines Geburtsortes Jijel im Osten des Landes.
Algeriens Öffentlichkeit reagiert erstaunt und entsetzt zugleich. Viele fragen sich, wie solche Treffen in einem Land möglich sind, in dem selbst die kleinsten sozialen Protestaktionen regelmässig verboten werden. „Das zeugt vom heimlichen Einverständnis zwischen den ehemaligen Terroristen und den Mächtigen im Lande“, beschwert sich ein Sprecher der Vereinigung der Opfer des Terrorismus. Und die Mitglieder der ehemaligen Dorfbrigaden, Selbstverteidgungsmilizen, die die Bevölkerung in den Jahren des Bürgerkrieges vor Übergriffen der Islamisten schützten, kündigen Protestmärsche an, sollte Mezrag tatsächlich eine Partei gründen dürfen.
„Wir werden niemandem, der an der nationalen Tragödie beteiligt war, das Recht einräumen eine Partei zu gründen“, versucht Premier Abdelmalek Sellal die Bedenken zu zerstreuen. Doch das will nicht so recht gelingen. Denn Mezrag hat gute Freunde im Staats- und Armeeapparat. „Wir haben ein Abkommen mit den Mächtigen, das über dem Gesetz steht“, erklärt er selbstsicher.
Mezrag prahlt nicht nur. Längst ist er vom Terroristen zu einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens geworden. Bereitwillig lässt er sich interviewen. Er nahm immer wieder an Wahlkampfveranstaltungen von Staatschef Bouteflika teil. Vor einem Jahr wurde er gar als einer unter vielen „nationalen Persönlichkeiten“ in den Präsidentenpalast geladen, um seine Ideen für eine Verfassungsreform zu unterbreiten. Sein Gesprächspartner war der Chef des Präsidentialamtes, Ahmed Ouyahia. Er war einst in den Jahren des Bürgerkrieges Premier und gehörte zu den „Eradicateurs“, dem Flügel im algerischen Staats- und Armeeapparates, der auf eine „Ausrottung“ der Islamisten setzte. Als sich die AIS als zu stark erwies und neue, noch grausamere bewaffnete, islamistische Gruppen entstanden, die ganze Dörfer massakrierten, unterstützte Ouyahia die Verhandlungen der Armee mit Mezrag.
An Mitteln für eine neue Partei dürfte es Mezrag nicht fehlen. Als die AIS die Waffen niederlegte, wurde ihr in den Jahren des Bürgerkrieges angehäufte Vermögen sowie die Gelder der verbotenen FIS nicht beschlagnahmt. 2006 gab Mezrag in einem Interview gegenüber der Zeitschrift Jeune Afrique zu, der Verwalter dieses immensen Guthabens zu sein „das überall ist, nur nicht auf einer Bank“. In seinem Video im Netz mahnt Mezrag zur Eile bei der Parteibildung: „Die Leute, mit denen wir die Aussöhnung erreicht haben sind entweder tot oder auf dem Weg zu sterben. Wir alle kennen den Gesundheitszustand des Präsidenten, auf das Gott im Leben schenkt, wenn das so weiter geht, wird unser Abkommen nicht mehr existieren.“