„Der nur wenig ortskundige Reisende wird den Eindruck gewinnen, dass Granada mit der unglaublichen Vielfalt an Formen, der Landschaft, dem Licht und dem Geruch die Hauptstadt eines Königreiches mit eigener Kultur und Literatur ist. Er wird eine seltene Mischung aus dem jüdischen Granada und dem arabischen Granada vorfinden, die augenscheinlich im Christentum verschmolzen, aber immer noch lebendig und unbestechlich ist in ihrer Unschuld.“ (Federico García Lorca)
Wer die Stadt erkunden will, betritt sie durch das Stadttor Puerta de Elvira, an dem am 1.1.1492 der letzte arabische Herrscher Boabdil den katholischen Königen Fernando und Isabel den Schlüssel zur Stadt übergab. Granada mit seinen Palästen sollte so vor der Zerstörung gerettet werden. Dieses bis heute, alljährlich mit einer Prozession gefeierte Datum setzte der siebenhundertjährigen Herrschaft der Arabar in Al-Andaluz, wie sie den Süden Spaniens nannten, ein Ende. Zurück blieb ein reiches kulturelles Erbe, geprägt von den drei großen Weltreligionen, dem Islam, dem Judentum und dem Christentum.
Vor den Augen des Spaziergängers, auf der gegenüberliegenden Hügelkette, erstreckt sich – eingerahmt von der bis im Frühsommer schneebedeckten Kulisse der Sierra Nevada – die Alhambra, einstiger Herrschersitz. Der rote Sandsteinpalast zählt zu den schönsten der Welt. Fresken zeugen von der Verschmelzung der Kulturen am Hofe. Islamische, christliche und jüdische Mythologie und Symbolik lösen sich ab. Eine Mischung, die auf allen Gebieten fruchtbar war. Könige und Kaiser aus ganz Europa reisten an, um sich in der Klinik von Granada und dem benachbarten Königreich Cordoba behandeln zu lassen. Bis hin zu Augenoperationen reichte das Wissen im 15. Jahrhundert. Das neue Testament wurde hier erstmals von einem Juden ins Spanisch übersetzt.
Das grüne Land nannten die Wüstensöhne den heißen Süden Spaniens. Verliebt in das Wasser, führten sie es aus den Bergen heran. Die Alhambra und der benachbarte Sommerpalast Generalife sind der deutlichste Beweis dieses Wissens. In mit Kacheln geschmückten Sälen sorgen Wasserspiele für eine angenehme Kühle. Dies sich im Rytmus abwechselnden Fontänen funktionieren bis heute, dank eines ausgeklügelten Systems von Auffangbecken und Überläufen. Nicht nur zur Zier diente das begehrte Nass. Die Ebene vor der Stadt, die Vega, wurde bewässert, über 300 öffentliche Bäder gab es in der Stadt. Eines davon kann im Paseo de los Tristes besichtigt werden.
Doch bietet die „Promeda der Traurigen“, wie der volkstümliche Name übersetzt heißt, nicht nur kulturelle Genüsse. Nachts werden auf dem Paseo del Padre Manjón, wie die Straße eigentlich heißt, weitaus profanere Bedürfnisse befriedigt. In der kopfsteingepflasterten Straße drängt sich in lauen Sommernächten das Volk. „Ir de copas“ – ein paar Trinks schlürfen – heißt die Devise, nach dem man in einer der zahlreichen Gartenkneipen mit Blick auf die beleuchtete Alhambra zu Abend gegessen hat. Hier findet sich was für jeden Geschmack: von Flamenco, über Salsa, bis hin zum Techno. Für Tristess, wie der Namen sugeriert, ist an diesem Ort, wo sich historische Kulisse und Nachtleben die Hand geben, kein Platz.
Nach der Eroberung zwangen die Sieger den Besiegten ihr Leben auf. Die meisten Wasserleitungen wurden dem Zerfall überlassen. Aus fruchtbarem Ackerland wurde Weideland für die Herden der kastillischen Adligen. Mit der Judenvertreibung vom 1492 verlor Spanien ein Großteil seiner Intelligenz. Die zurückgebliebenen Moslems wurden zum Übertritt zur katholischen Kirche gezwungen.
Die Kathedrale überschattet den arabischen Basar Alcaicería. In seinen ständig überfüllten Gässchen wird allerlei Kitsch im arabischen Stil feilgeboten. Wer sich auf einer Terrasse erholen will, tritt hinaus auf die Bibrambla, Granadas bürgerlichem Platz. Hier endete einst auf dem Scheiterhaufen, wem der Übertritt zur Religion der neuen Herrscher nicht glaubhaft gelang.
Wer sich zu einer Reise in die Vergangenheit und Gegenwart Granadas entscheidet, sollte mehr Zeit als Reiseführer mitbringt. Denn „für die großen Karawanen von aufgeregten Touristen, Freunde der Kabaretts und großer Hotels, diese leichtfertigen Gruppen, die die Menschen im Albaicín ‚Onkel Tourist‘ nennen, ist die Seele der Stadt nicht offen.“, so Federico García Lorca, Dichter und bekanntester Sohn der Stadt.