„Guten Tag. Eco Alfa 4 Hotel India Hotel auf Empfang“, spreche ich ins Handmikrofon und bekomme tatsächlich eine erste Antwort. Nach und nach melden sich noch ein paar Stimmen mehr. Es entsteht eine reges Gespräch.
EA4HIH ist mein Rufzeichen als Amateurfunker. Ich habe den Lockdown genutzt, um mich durch das Ohmsche Gesetz, durch Schaltungen, Antennentechnik und Kürzel wie CEPT, IARU oder VHF zu büffeln. Nach bestandener Prüfung gehöre ich jetzt zur wohl ältesten, virtuellen Gemeinschaft, den drei Millionen Amateurfunker weltweit, davon 31.500 in Spanien. Nun chatte ich ganz ohne Internet, einfach so über den Äther.
Statt den sonst bei den Fans der etwas blechernen Stimmen aus kleinen Lautsprechern üblichen Debatten über Technik und Empfangsqualitäten, geht es heutzutage – wie könnte es auch anders sein – meist um das Virus. Und damit um die Frage „Warum hat Spanien so hohe Infektionszahlen, obwohl wir den härtesten Lockdown hatten und brav Masken tragen?“
„Es liegt an unserer südländischen Lebensart“, sind sich alle schnell einig. „Was in Spanien als soziale Distanz gilt, ist in Ländern wie Schweden Normalzustand“, fügt einer hinzu.
„Auf der Straße mit Maske, um sie dann bei Kaffee oder Bierchen in der Kneipe abzunehmen“, führt ein anderer Funker aus, der „von der Grenze zur Sperrzone“ grüsst. Er wohnt in einem Madrider Stadtteil, in dem die neuen Mobilitätsbeschränkungen noch nicht gelten; eigentlich gleich bei mir um die Ecke, auch wenn wir uns persönlich noch nie getroffen haben.
Denn seit ich Funker bin, war ich nur selten in Madrid, Zuerst war ich im Urlaub und dann oft im Häuschen auf einem Camping 100 Kilometer ausserhalb. Zuletzt waren wir dort gar in Quarantäne, nachdem es auf dem Platz einen Covid-Fall gab.
„Viele haben sich zu sicher gefühlt, als der Lockdown um war. Familienfeste, Treffen mit Freunden … ohne die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen. Jetzt zahlen wir dafür“, erklärt ein Funker aus Medina del Campo. Noch vor ein paar Wochen hielt er die generelle Maskenpflicht und die Absage der Dorf- und Stadtfeste für übertrieben. Jetzt ist auch er entsetzt: „In der erste Welle waren wir das Vorzeigebeispiel in Castilla y León. Wir hatten kaum Fälle. Nun liegen wir bei den Neuinfektionen ganz mit vorn.“
Jetzt gibt es sogar erhebliche Einschränkungen in dem zentralspanischen 20.000-Seelen-Städtchen. Da bleibt viel Zeit für lange Gespräche auf 145.700 Megahertz. Das ist die Frequenz der Relaisstation auf einem Berg in der zentralspanischen Sierra de Paramera, mit dessen Hilfe unsere Sendereichweite deutlich erhöht wird.
Ein Kollege aus Ávila nimmt die Politik in der Verantwortung. „Die Öffnung ging zu schnell; alles um die Tourismusindustrie wieder anzukurbeln. Und sie haben nichts für die zweite Welle vorbereitet“, meint er. „So sehe ich das, sicher kann man auch anderer Ansicht sein“, sagt er dann, fast schon wie eine Entschuldigung. Denn eigentlich besagt der internationale Amateurfunker-Code, dass Politik und Religion Tabuthemen sind, um niemandem zu nahe zu treten. Doch bei täglich über 10.000 neue Fälle und über 100 Toten in Spanien kommt niemand auf die Idee, ihm zu widersprechen, egal welcher politischer Couleur er ist.
Als unser Covid-Test negativ ausging und die Quarantäne aufgehoben wurde, empfiehlt mir einer meiner üblichen Kontakte aus einem südlichen Vorort Madrids: „Bleibt wo ihr seid.“ Nur nicht zurück in die Hauptstadtregion, dem Covid-Hotspot Europas schlechthin. Er macht sich „Sorgen um meine beiden Kinder, die an die Uni und aufs Gymnasium gehen“. Selbst gehe er nur vor die Tür, um zu arbeiten und um einzukaufen. Die Angst vor der Infektion hat Spanien wieder im Griff.
„Ich gehe mit meiner Frau in den Bergen spazieren, dort wo wir niemanden treffen“, sagt ein Funker aus einem Dorf unweit unseres Campings. Fern von der heimischen Station baumelt dann selbstverständlich ein Handfunkgerät am Rucksack. „Hacer radio“ – „Radio machen“ – wie es im Funkerchargon in Spanien heißt – ist immer und überall eine Option.
Ich höre ihn immer schlechter. Er wandert irgendwo Richtung Funkschatten und erreicht das Relais nur noch schlecht. Zum Abschied gibt es ein aus der Morsezeit in den „modernen“ Sprechfunk herübergerettetes „73“ (liebe Grüße). Irgendwann treffen wir uns bestimmt wieder auf 145.700. Und das Thema Corona bleibt uns wohl noch eine ganze Weile erhalten.