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Islamistin, Feministin, Cheika de la Medina

Souad Abderrahim schreibt Geschichte. Die 53-jährige Tunesierin wurde am Dienstag vom Stadtrat als erste Frau zur „Cheikha de la Medina“ – Bürgermeisterin – von Tunis gewählt. Sie ist gleichzeitig das erste gewählte Stadtoberhaupt. Bisher wurden die Bürgermeister vom Präsidenten eingesetzt.

Abderrahim gewann als Nummer 1 der islamistischen Ennahda-Partei (Erneuerung) die Kommunalwahlen im vergangenen Mai. Abderrahim weiß 21 der 60 Sitze hinter sich. Im zweiten Wahlgang, in dem eine einfache Mehrheit reicht, wurde sie von 26 Stadtverordneten gewählt. Und schlug damit ihren Mitbewerber Kamel Idir von der Partei des tunesischen Präsidenten Beji Caid el Sebsi, Nidaa Tounes.

Die in der süd-tunesischen Hafenstadt Sfax geborene Abderrahim ist keine gewöhnliche islamistische Politikerin. Sie trägt das Haar offen und kleidet sich am liebsten in Hosenanzügen. Als „feministische Islamistin“ sieht sich die verheiratete Mutter zweier Kinder. Im Wahlkampf versprach sie, die dringendsten Probleme der tunesischen Hauptstadt anzugehen. Sie will den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, die Müllabfuhr verbessern und die Parkanlagen herrichten lassen. Für letzteres hat sie eine ganz besondere Idee. Sie verlangt für straffällig gewordene junge Menschen gemeinnützige Arbeit statt Haftstrafen und denkt dabei an die Tausenden, die pro Jahr wegen kleiner Diebstähle oder Drogendelikte hinter Gitter müssen.

Abderrahims politische Karriere begann als sie in Monastir, der Heimatstadt des Vaters des unabhängigen Tunesiens Habib Bourguiba, Pharmazeutik studierte. Dort gehörte sie dem Vorstand der islamistischen Studentengewerkschaft UGTE an. 1985 wurde sie für zwei Wochen inhaftiert, als sie bei einer politisch motivierten Schlägerei festgenommen wurde. Abderrahim, die damals noch Kopftuch trug, hatte eigentlich vermitteln wollen. Aber das nutze ihr nichts. Sie wurde daraufhin gezwungen, ihr Studium erst einmal zu unterbrechen.

Abderrahim zog sich aus der Politik zurück. 1991 schloss sie ihr Studium endlich ab und begann ein Jahr später in einem Arzneimittelgroßhandel zu arbeiten. Das Kopftuch wanderte endgültig in die Schublade.

Nach der Revolution am 14. Januar 2011 meldete sie sich in der Politik zurück. Sie wurde im Herbst des gleichen Jahres als Ennahda-Spitzenkandidatin im zweiten Wahlbezirk von Tunis in die Verfassungsgebende Versammlung gewählt. Dort stand sie der Kommission für Menschenrechte und Freiheiten vor.

Ihre politische Gegner beäugen Abderrahim mit Argwohn. Sie sei nur ein „modernes Aushängeschild für die internationale Öffentlichkeit“ für die Islamisten. „Souad Palin“ wurde sie in Anlehnung an die extrem rechte Gouverneurin des US-Bundesstaates Alaska immer wieder genannt.

Trotz aller Reden über die Benachteiligung der Frau, die es zu bekämpfen gelte, vertritt Abderrahim im völligen Einklang mit ihrer Partei ein orthodoxes Familienbild. So erklärte sie alleinstehende Mütter zur „Schande für eine islamische Gesellschaft“ und im derzeitigen Streit um das Erbrecht, das Frauen deutlich benachteiligt, hält sie sich völlig bedeckt./Foto: Ennahda

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