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Katalonien: Regierung in Sicht

Die regierungslose Zeit in Katalonien geht zu Ende. Knapp fünf Monate nach den von Madrid angesetzten Neuwahlen am 21. Dezember vergangenen Jahres erklärte der ehemalige Regierungschef Carles Puigdemont, dass er zugunsten von Joaquim Torra – genannt „Quim“ – auf seine Kandidatur verzichtet. Die Parlamentssitzung, auf der sein Programm vorstellt, beginnt am Samstag um 12 Uhr. Die Abstimmung wird wohl am Sonntag sein. Sollte es – wider Erwarten – bis zum 22. Mai keine Regierung geben, müssten Neuwahlen angesetzt werden.

Puigdemont, der in Deutschland auf einen Entscheid über das spanische Auslieferungsantrag wegen „Rebellion“ und „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ im Zusammenhang mit dem verbotene Referendum über die Loslösung Kataloniens von Spanien am 1. Oktober wartet, scheiterte einmal mehr an der spanischen Justiz. Zwar hatte die Mehrheit der Unabhängigkeitsbefürworter im katalanischen Parlament eigens das Reglement zur Wahl eines Regierungschefs dahingehend geändert, dass ein Kandidat auch per Videokonferenz sein Regierungsprogramm vorstellen kann, doch legte der konservative spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy dagegen Widerspruch beim Verfassungsgericht ein. Solange dieses nicht endgültig entschiedet, ist das Reglement ausser Kraft. Puigdemont kann nicht kandidieren.

Der ehemalige katalanische Regierungschef bestimmte deshalb am Donnerstagabend per Videoansprache von Berlin aus „Quim“ Torra als Alternativkandidaten. Der 55-jährige Anwalt gilt als unerbittlicher Verfechter der Unabhängigkeit seiner Heimat. Er war mehrere Jahre Vizepräsident und Präsident von Òmnium Cultural, neben der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) die wichtigste Organisationen für die Unabhängigkeit.

In der Politik selbst ist Torra ein Neuling. Er kandierte erstmals für bei den Parlamentsahlen am vergangenen 21. Dezember auf der Liste von JxCat in der provinz von Barcelona. Die 135 Kandidaten waren von Puigdemont höchstpersönlich ausgesucht worden. „Liste eines Landes“ nannte er dies, „Liste des Präsidenten“, hieß sie schnell in der Bevölkerung. Torra, der 20 Jahre in der Privatwirtschaft arbeitete, darunter in der Schweiz bei der Versicherung Winterthur, schreibt viel und gerne. Sein eigener Verlag „A Contra Vent“ (Gegen den Wind) veröffentlicht hauptsächlich Bücher über die katalanische Literatur in der spanischen Republik der 1930er Jahre und im Exil zu Zeiten der Franco-Diktatur. Neben seinen Ämtern bei Òmnium war er auch Direktor des Kulturzentrums BORN in Barcelona. Es handelt sich dabei um Ruinen aus dem Jahr 1714, als Barcelona im Erbfolgekrieg fiel und seine Unabhängigkeit verlor. Als Anwalt verklagte Torra das spanische Verfassungsgericht in Straßburg, als dieses das katalanische Autonomiestatut einschränkte. Die Klage wurde zurückgewiesen.

Unter @QuimTorraiPla ist der künftige Regierungschef auf dem Kurznachrichtendienst Twitter zu finden. Was er dort absetzt sorgt immer wieder für Polemik. „Spass bei Seite. Meine Herren, wenn wir noch ein paar Jahre hier bleiben, laufen wir Gefahr so verrückt zu enden, wie die Spanier“ und „Die Spanier können nur plündern“, sind nur zwei seiner Perlen.

Puigdemont erklärte ausdrücklich, dass Torra, der mit den nötigen Stimmen im Parlament rechnen kann, eine Übergangslösung sei. Sollte das Verfassungsgericht das neue Reglement in einigen Monaten doch noch für rechtmässig erklären, will Puigdemont erneut ins Amt. Er war von Madrid Ende Oktober abgesetzt worden, als Katalonien mit dem Verfassungsartikel 155 unter Zwangsverwaltung gestellt wurde. Puigdemont und vier seiner Minister setzte sich nach Belgien ab. Zusammen mit zwei weiteren Politikerinnen, die sich in der Schweiz aufhalten, werden sie per europäischem und internationalem Haftbefehl gesucht. In Spanien selbst sitzen sieben ehemalige Minister und zwei Aktivisten in Untersuchungshaft – darunter der Nachfolger von Torra an der Spitze von Òmnium, Jordi Cuixart.

Torra ist das, was die Befürworter der Unabhängigkeit – neben Puigdemonts „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat), die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) und die antikapitalistische Kandidatur der Volkseinheit (CUP) – Plan D nennen. Plan A war Puigdemont, Plan B der in Untersuchungshaft sitzende ehemalige Chef der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) und Plan C der ehemalige Sprecher Puigdemonts Jordi Turull. Letzterer erhielt nicht genug Stimmen und wurde nach der Abstimmung in Untersuchungshaft genommen.

Torra ist der erste Kandidat, der bisher keine offene Rechnungen mit der Justiz hat. Obwohl er zum harten Kern der Befürworter des Referendums vom 1. Oktober und der Unabhängigkeitserklärung am 27. Oktober gehörte, wird gegen ihn nicht ermittelt. Damit steht seinem Einzug als 131. „President“ in die katalanische Regierung „Generalitat“ nichts im Wege.

Einmal im Amt, wird sich Torra ein Büro in der Generalitat suchen müssen. Denn Puigdemont, der für seine Anhänger weiterhin der „rechtmässige Präsident“ ist, hat darum gebeten, dass sein Büro frei bleibt, bis er irgendwann aus seinem Exil zurückkehren kann. /Foto: Jomatofa

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