© 2017 Reiner Wandler

Spanien macht mobil

 

Eine Woche nach der Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens und nur zwei Tage vor einer möglichen einseitigen Unabhängigkeitserklärung durch den katalanischen Autonomiepräsidenten Carles Puigdemont bestimmten die Farben Spaniens das Straßenbild von Barcelona. Am Sonntag zogen Zehntausende durch die Straßen der katalanischen Hauptstadt. Aufgerufen hatte die Katalanische Zivilgesellschaft (SCC) unter dem Motto „Genug: Gewinnen wir die Besonnenheit zurück“.

Es gehe darum, der schweigenden Mehrheit in Katalonien eine Stimme zu geben, erklärten die Veranstalter. Die SCC wurde 2014 von Persönlichkeiten aus dem Umfeld der in Madrid regierenden Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy, der sozialistischen PSOE und der rechtsliberalen Ciudadanos (C‘s) gegründet, um der wachsenden Unabhängigkeitsbewegung etwas entgegen zu setzen. Der SCC werden immer wieder Kontakte zu rechtsextremen Kreisen nachgesagt.

„Zusätzlich zu den Katalanen sind Tausende von Männern und Frauen aus allen Ecken Spaniens hier, selbst Peru, um katalanischen Freunden zu sagen, dass sie nicht allein sind, dass wir mit ihnen sind, dass wir mit ihnen die Schlacht um die Freiheit führen werden“, erklärte der eingebürgerte peruanische Literaturnobelpreisträger Vargas Llosa auf der Abschlusskundgebung.

Die Teilnehmer der Demonstration – über 900.000 laut SCC, 350.000 laut der Stadtpolizei von Barcelona – kamen per Bahn, Privat-Pkw aus und eigens gecharterten Bussen aus allen Teilen Kataloniens und Spanien. Unter den Demonstranten befanden sich Minister und ranghohe Politiker PP aus dem gesamten Land. Auch die Sozialisten waren namhaft vertreten – allen voran der ehemalige Präsident des Europaparlamentes, Josep Borrell. Der katalanische Politiker trat gemeinsam mit Vargas Llosa auf der Abschlusskundgebung auftrat.

Die beiden liefen gemeinsam mit dem Delegierten der Madrider Zentralregierung in Katalonien, Enric Millo, in der ersten Reihe. Millo hat den Oberbefehl über die in Katalonien zusammengezogenen Polizeikräfte, und damit die Verantwortung für die brutalen Einsätze am Tag des Referendums, bei denen knapp 900 Verletzte zu beklagen waren.

„Puigdemont ins Gefängnis“ lautete die wohl am meisten gerufenen Parole. „Dialog? Nein! Knast!“ war auf Pappschildern zu lesen. „Katalanen wir mögen Euch“ riefen die Demonstranten und ließen gleichzeitig die Guardia Civil und die Nationalpolizei hochleben. Beamte der katalanischen Autonomiepolizei wurden immer wieder beschimpft. „Raus hier, das ist Spanien“, mussten sie sich anhören. So mancher trug auf seinem T-Shirt Symbole der Franco-Diktatur. Eine große Gruppe von Ex-Berufssoldaten machte sich durch Militärmützen erkenntlich.

Nur 24 Stunden zuvor hatten ganz andere Demonstranten das Bild im Land bestimmt. Vom kleinsten Dorf bis zu den größten Städten sammelten sich am Samstag um 12 Uhr Menschen in weißer Kleidung und mit weißen Fahnen vor den Rathäusern und forderten einen Dialog zwischen der Madrider Zentralregierung und der Autonomieregierung „Generalitat“ in Barcelona. Das Motto der Initiative zu der eine Handvoll junger Politologen aufgerufen hatten lautete #hablamos? #parlem? (Sprechen wir?). In der katalanischen Hauptstadt war der Platz San Jaume, auf dessen einen Seite das Rathaus und auf der anderen der Sitz der Generalitat liegt, brechend voll. In Madrid versammelten sich weit über zehntausend Menschen.

„Spanien ist besser als seine Regierenden“, beginnt das Manifest, das die Initiatoren vergangenen Montag auf Facebook und Twitter gestellt hatten. „Sie haben Hass gesät, sie entzweien uns und konfrontieren uns. Wenn wir als Gesellschaft nicht eingreifen, wird Spanien zu einem Land, in dem es sich nur schwer leben lassen wird“, heißt es.

Ministerpräsident Mariano Rajoy will von einem Dialog nichts wissen. „Unter Erpressung kann nichts aufgebaut werden“, erklärte er in einem Exklusivinterview in der spanischen Tageszeitung El País vom Sonntag. Er lobte die Demonstrationen für die spanische Einheit und zeigte sich von der Idee einer „Regierung der Konzentration“ mit allen Parteien, die sein hartes Vorgehen zum Schutz der Verfassung unterstützen, angetan.

Am Dienstag will Puigdemont vor dem katalanischen Parlament über die aktuelle Lage diskutieren. Er könnte dies zum Anlass nehmen, einseitig die Unabhängigkeit auszurufen. 43 Prozent der Katalanen hatten trotz Verbot und Polizeigewalt abgestimmt. 90,2 Prozent unterstützten die Unabhängigkeit.

Die spanische Regierung behalte sich „alle Schritte“ vor, beteuert Rajoy. Auch die Anwendung des Artikels 155 sei nicht ausgeschlossen. Dieser sieht vor, dass Madrid die Autonomieverwaltung in Katalonien aussetzt und selbst die Regierungsgeschäfte in der nord-ost-spanischen Region übernimmt.

Rajoy erklärte, dass die zum Referendum nach Katalonien verlegte 6.000 Polizisten und Guardia Civiles solange bleiben werden „bis die Normalität zurückkehrt“. Katalonien sei „die Schlacht Europas“, beteuerte der Konservative und lehnte eine Vermittlung strikt ab.

Am Vorabend der Demonstration in Barcelona, erhielt Rajoy Unterstützung durch den ehemaligen spanischen Regierungschef, Felipe González. „Ich hätte den Artikel 155 angewendet, um die Verfassung und das Statut (über Kataloniens Autonomie) zu verteidigen“, sagte der Sozialist in Berlin und schloss sich damit den Stimmen aus der PP, wie dem Amtsnachfolger von González, Jose María Aznar, und Ciudadanos an, die Rajoy ein zögerliches Vorgehen vorwerfen. Der Ruf nach Dialog und Vermittlung der katalanischen Regierung, der unter anderem von der linksalternativen Podemos, den baskischen Parteien, Teilen der Amtskirche, von Gewerkschaften und der katalanischen Anwaltskammer unterstützt wird, sei „Geklingel, das nur Leute interessiert, die den Rahmen der Verfassung nicht akzeptieren“.

Nach der Schweizer Regierung boten am Sonntag „The Elders“ ihre Vermittlung an. Der Gruppe, die von Nelson Mandela, dessen Frau Graça Machel und Desmond Tutu gegründet worden war, gehören neben dem Ex-Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, zahlreiche ehemalige Staatsmänner und – frauen an./Foto: SCC

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