© 2017 Reiner Wandler

Der kranke Mann am Mittelmeer

Wer regiert eigentlich das Land? Diese Frage stellen sich immer mehr Algerier. Denn Präsident Abdelaziz Bouteflika taucht seit seinem Schlaganfall 2013 kaum mehr in der Öffentlichkeit auf. Und wenn dann doch – so wie vor wenigen Tagen – Bilder im Staatsfernsehen gezeigt werden, sind diese kaum dazu geeignet, den Bürgern die Sorge zu nehmen. Der 80-jährige Präsident sitzt im Rollstuhl, spricht nicht und blättert unter großer Anstrengung mit leerem Blick in einem Dokument.

Seit wenigen Wochen werden immer mehr Stimmen laut, die eine Amtsenthebung des 80-Jährigen fordern. Artikel 102 der Verfassung sieht dies vor, wenn „der Präsident der Republik durch schwere und anhaltende Krankheit nicht in der Lage ist, seine Funktionen wahrzunehmen“.

Außer seinen Ärzten und seinen Geschwistern wird niemand mehr zu Bouteflika vorgelassen. Er empfängt kaum noch Staatsgäste. So wurde auch ein Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel wenige Stunden vor dem Abflug aus Berlin abgesagt.

Bouteflika verlässt den Präsidentensitz nur für Reisen zu ärztlichen Untersuchungen nach Frankreich oder in die Schweiz. Weder Regierungsmitglieder noch Oppositionspolitiker erhalten eine Audienz. Eine Initiative von Bürgern, die ein Treffen mit ihrem Präsidenten verlangten, um sich selbst ein Bild zu machen, wurde nicht beantwortet.

Die kleine Oppositionspartei Jil Jadid (Neue Generation) forderte als Erste öffentlich eine Amtsenthebung, erste Demonstrationen formierten sich bereits. Jetzt verlangt auch eine Gruppe von Universitätsprofessoren und Intellektuellen ein Ende der Ära Bouteflika. Sie wollen keine Amtsenthebung, sondern fordern in der frankofonen Zeitung El Watan, Bouteflika möge vorgezogenen Wahlen zustimmen.

„Der Präsident wurde vom Volk bei transparenten und demokratischen Wahlen im Amt bestätigt“, erinnerte Parlamentspräsident Saïd Bouhadja daran, dass Bouteflika 2014 – also nach seinem Schlaganfall – mit über 81 Prozent der Stimmen ein viertes Mal in den Präsidentenpalast einzog. Die Kampagne für eine Amtsenthebung habe nur zum Ziel „die Institutionen zu schwächen“.

Auch ohne aktuelle Bilder des Präsidenten tun das Staatsfernsehen und die staatliche Presseagentur so, als würde Bouteflika die Geschicke Algeriens lenken. Da wird von Wirtschaftsreformen berichtet, die Bouteflika anweist; nur drei Monate nach den Parlamentswahlen im Mai wird der Regierungschef entlassen und durch den bisherigen Chef des Präsidentialamts ersetzt; und dann fordert der Präsident alle Parteien auf, angesichts der Krise – verursacht durch den Verfall der Erdöl- und Erdgaspreise – die umstrittenen Reformen und Kürzungen der Regierung zu unterstützen.

Wer da wohl tatsächlich die Fäden im Präsidentenpalast zieht? Der wohl bekannteste Karikaturist Algeriens, Ali Dilem, hat die Antwort. „Dem Präsidenten geht es gut, und er sieht sogar jünger aus“, lässt er einen General erklären, der auf ein Porträt an der Wand deutet. Dort ist Abdelaziz Bouteflikas jüngerer Bruder Said zu sehen. Dieser ist offiziell Präsidentenberater und hat zusammen mit den beiden anderen Geschwistern regelmäßig Kontakt mit dem schwerkranken Staatschef.

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