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Blutiger Anschlag auf Badegäste

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Hotel in Port El Kantaoui

Port El Kantaoui – unweit der tunesischen Mittelmeerstadt Sousse – steht für weite Sandstrände, luxuriöse Hotelkomplexe, lauschige Restaurants und einen modernen Sporthafen. Seit Freitag nun steht der Name auch für den brutalsten Terroranschlag seit 2011 der Diktator Ben Ali von breiten Protesten gestürzt wurde. Mindestens 39 Menschen kamen ums Leben, als zur Mittagszeit mindestens zwei mit Kalaschnikow-Sturmgewehren bewaffnete Männer das Feuer auf Touristen am Strand beim Hotel Imperial Marhaba eröffneten. Mindestens 30 weitere Menschen wurden verletzt. Ein Angreifer wurde von der Polizei erschossen, ein weiterer befindet sich laut Innenministerium auf der Flucht.

Das Imperial Marhaba gehört einer Tochtergesellschaft des deutschen Reiseveranstalters TIU. Unter den Todesopfern sollen sich ausländische Urlauber befinden. Laut tunesischen Reportern vor Ort sollen die Angreifer über das Meer gekommen sein. Urlauber veröffentlichten Fotos von Toten am Strand auf den sozialen Netzwerken.

Die Umgebung von Sousse gehört zu den beliebtesten Zielen bei europäischen und nordafrikanischen Urlaubsgäste. Es ist der zweite Anschlag mit Todesopfern auf Touristen im Geburtsland des arabischen Frühlings. Bereits im März hatten schwer bewaffnete, radikale Islamisten aus dem Umfeld des Islamischen Staates (IS) in der Hauptstadt Tunis das archäologische Bardo-Museum gestürmt. Damals kamen 24 Menschen ums Leben, darunter 20 ausländische Urlaubsgäste und zwei der Angreifer. Auch dieses Mal richtet sich der Verdacht der Ermittlungsbehörden auf die IS-Szene.

In einer nicht verifizierbaren Twitter-Mitteilung übernahmen Unterstützer der IS-Terrormiliz die Verantwortung für den Anschlag. Ein „Soldat des Kalifats“ habe den „abscheulichen Hort der Prostitution, des Lasters und des Unglaubens“ angegriffen, hieß es. Bereits im Oktober 2013 war es in Sousse vor einem anderen Hotel zu einem Anschlag gekommen. Ein Selbstmordattentäter hatte sich damals in die Luft gesprengt, ohne dabei weitere Menschen zu verletzen.

Der Terror versucht Tunesien dort zu treffen, wo es am meisten schmerzt. Das kleine, nordafrikanischen Land lebt unter anderem vom Tourismus. Sieben Prozent des BIPs kommen aus dem Geschäft mit Sonne, Strand und der reichen Geschichte. Nach dem Anschlag auf das Bardo Museum ging der Tourismus im ersten Halbjahr 2015 um knapp 22 Prozent zurück. Die Kreuzfahrtschiffe, die unweit der Hauptstadt anlegten und einen Besuch in Tunis, der dortigen Altstadt und im Bardo-Museum fest auf ihrem Programm hatten, machen seit dem Blutbad einen Bogen um Tunesien.

Die Tourismusindustrie versucht seit der Revolution 2011 vergebens wieder an alte Zeiten anzuknüpfen. Insgesamt kommen heute rund ein Drittel Urlauber weniger als 2010. Europäer kommen sogar nur noch halb so viele, wie vor vier Jahren. Der Anschlag von Sousse droht den Tourismus jetzt völlig zusammenbrechen zu lassen.

Das als modern bekannte Tunesien hat mittlerweile eine beachtliche radikale Islamistenszene. Rund 3.000 junge Menschen haben – so Schätzungen der Behörden – das Land in Richtung Libyen, Syrien und dem Irak verlassen, um sich dort dem IS und anderen islamistischen Milizen anzuschließen. Längst befürchtet die tunesische Regierung, dass Rückkehrer im Land Anschläge verüben könnten. In den Bergen rund um Kasserine im Landesinneren an der Grenze zu Algerien verschanzen sich seit Jahren terroristische Gruppen. Armee und Gendarmerie kommen ihnen selbst mit Flächenbombardements nicht bei.

Ausserdem lebt Tunesien in gefährlicher Nachbarschaft. Das Land verfügt über eine lange, schwer kontrollierbare Grenze zu Libyen quer durch die Wüste. In Libyen herrschen seit dem Sturz des Diktators El-Gaddafi mit Unterstützung durch Nato-Luftangriffen Ende Oktober 2011 chaotische Zustände. Längst hat die Regierung in Tripolis keine Gewalt mehr über das Land. Einzelne Milizen haben in den Regionen das Sagen; eine Parallelregierung streitet sich mit Tripolis um die Autorität im Lande. Libyen ist dadurch ein idealer Platz für radikale Islamisten. Der IS breitet sich ungehindert aus. Immer wieder werden von tunesischen Behörden Waffenschmuggler gefasst. Rund 15.000 Soldaten sollen – so tunesische Nachrichtenwebs – die Grenze bewachen.

Was bisher geschah: