© 2015 Reiner Wandler

Portugal: Vorzensur im Wahlkampf

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Die großen portugiesischen Parteien schauen besorgt ins benachbarte Spanien. Dort entstanden in nur wenigen Monaten mit der Anti-Austeritätspartei Podemos (Wir können) und der liberal-konservativen Ciudadanos (Bürger) zwei Formationen, die das bisherige Zwei-Parteien-System völlig umkrempeln könnten. Um einer ähnliche Entwicklung zuvor zukommen, will die portugiesischen Regierungskoalition der konservativen Sozialdemokratischen Partei PSD von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho und dem rechten „Demokratisch und Sozialen Zentrum – Volkspartei“ (CDS-PP) unter Vize-Premier Paulo Portas ein Gesetz verabschieden, dass die Berichterstattung über den Wahlkampf für die Parlamentswahlen im kommenden Herbst regeln soll. Die größte Oppositionspartei, die sozialistische PS, will sich dem Vorhaben anschließen.

Das Gesetz sieht eine Kommission vor, bei der die geplante Wahlberichterstattung im Voraus eingereicht werden muss. Die Mitglieder dieser Kommission sollen von den Parteien bestimmt werden. Alle Medien, ob Print, Funk oder Fernsehen sind von dieser „Vorschau“ betroffen. Auch Nachrichtenseiten im Internet sollen überwacht werden. Dieses Prozedere soll für eine ausgewogene Berichterstattung sorgen und bewirken, dass die Medien mehr Reportagen als Meinungsartikel veröffentlichen.

Die Kontrolle betrifft nicht nur die zwei Wochen heißen Wahlkampfes. Auch die Berichterstattung über den Vorwahlkampf soll genehmigungspflichtig werden, sobald die Parteien ihre Kandidatenlisten vorgestellt haben. Insgesamt würde das neue Gesetz eine Zeitraum von mindestens einem Monat betreffen. Wer gegen das Gesetz verstößt, muss mit einem Bussgeld von bis zu 50.000 Euro rechnen.

Der Aufschrei bei den den restlichen Parteien sowie in den Medien selbst lässt nicht auf sich warten. Sowohl die kommunistische PC als auch das Linksblock BE lehnen das Vorhaben ab. Auch neue Parteien, die bei den Wahlen im Herbst erstmals in Parlament einziehen könnten wollen von der Vorzensur nichts wissen, obwohl sie dadurch Vorteile zu erwarten hätten, da alle Medien – egal ob links oder rechts – über alle Parteien berichten müssten.

„Auch wenn und klar ist, dass es in vielen Medien keine ausgewogene und gerechte Berichterstattung gibt, verurteilt LIVRE jedweden Versuch der Zensur oder Bürokratisierung der Arbeit der Journalisten“, heisst es in einer Erklärung der kleinen öko-sozialistischen Partei Livre, die bei den Europawahlen 2014 erstmals antrat und mit 5,4 Prozent der Stimmen in der Hauptstadt Lissabon von sich Reden machte. Ähnlich wie Podemos im benachbarten Spanien kritisiert LIVRE die alten Eliten und die Korruption.

Die wichtigste Medien des Landes verabschiedeten ein Manifest „Für die Informationsfreiheit“ gegen das geplante Gesetz. „Das Recht der Journalisten zu informieren, und das Recht der Bürger informiert zu werden darf nicht von der Macht beeinflusst und eingeschränkt werden“, heisst es dort. Die Medien rufen die Parlamentarier auf, „Freiheit und Demokratie (…) bis zur letzten Instanz zu verteidigen“.

Noch gilt das herkömmliche Parteiensystem in Portugal als stabil. Doch neben LIVRE entsteht auch eine zweite neue Kraft. „Juntos Podemos“ – „Gemeinsam können wir“ – heisst die Partei, die versucht im Schatten des Erfolgs der neuen Protestpartei in Spanien zu segeln. Der Unmut, der in Spanien zu einem abrupten Wandel in der Parteienlandschaft geführt hat, ist auch in Portugal zu spüren. Beide großen Parteien, die konservative PSD und die sozialistische PS, haben die von Brüssel geforderte Sparpolitik mit ihrer jeweiligen Regierung umgesetzt. Und beide Parteien haben ihre Korruptionsskandale. Der letzte sozialistische Ministerpräsident José Sócrates wurde vergangenen November wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Korruption festgenommen.

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