© 2013 Reiner Wandler

Krise und Tratsch

Wenn die Krise in Spanien eines lehrt, dann: Nichts bleibt, wie es war. Das gilt nicht nur für Sozialleistungen, Löhne, Schulbildung und Gesundheitssystem. Das gilt auch für die Fernsehgewohnheiten der Spanier.

Vorbei sind die Zeiten, als die ganze Woche über – neben der Liga versteht sich – die letzte Ausgabe des Programms Salsa Rosa – Rosa Soße – die Gespräche am Arbeitsplatz und an der Theke bestimmten. Die Sendung, in der Stars und Sternchen, sowie allerlei von Berlusconis spanischem Telecinco selbstkreierte TV-Monster ihre Streitigkeiten, ihre Anschuldigungen und ihre peinlichsten Seiten zum Besten gaben, musste El Gran Debate – Der Großen Debatte – weichen. Plötzlich hat Spanien neue Themen und neue Stars, am Arbeitsplatz am Tresen und in den sozialen Netzwerken.

Es sind Menschen wie der Kellner Alberto, der beherzt Demonstranten in Schutz nahm, als diese vor einem völlig überzogenen Polizeieinsatz Zuflucht in seiner Kneipe suchten. Er kam zusammen mit einem Rentner zu Wort, dem die Polizei einen Arm brach, als er an eben jenem Tag verhaftet wurde. Es ist der ehemalige Vorsitzender der Vereinigten Linken, der ganz offen gegen die Monarchie und für eine Dritte Republik eintritt. Oder es sind Menschen wie Ada Colau, die Aktivistin der Vereinigung der Zwangsräumungen betroffenen Kreditschuldner. „Banker sind Kriminelle“, gibt sie zum Besten und fast ganz Spanien stimmt zu und kommentierte dies die ganze Woche über.
Auch Liveschaltungen zu den großen Demonstrationen, die oft zeitgleich zum Programm die Straßen Madrids und vieler Provinzhauptstädte füllen, dürfen nicht fehlen. Selbst in den allmorgendlichen Hausfrauenprogrammen hat es sich ausgetratscht. Als der Gerichtshof der Europäischen Union kürzlich die Praxis der Zwangsräumungen von Wohnungen teilweise für unrechtmäßig erklärte, feierten die Aktivisten den Richterspruch live im Studio.
Immer öfter geht es um Korruption oder werden Krisenopfer zur Talkshow geladen. Besonders tragische Fälle werden in Kurzreportagen vorgestellt. Und wenn es um eines der Lieblingsthemen der Morgenprogramme, um das spanische Königshaus, geht, sind es keine Promo-Reportagen mehr. Die Rede ist dann von Jagdunfällen des Monarchen, von seinen Liebschaften und Geschäften , sowie um die Machenschaften seines Schwiegersohnes, gegen den ermittelt wird.
Die Realität hat das was in Spanien Telebasura – Müllfernsehen – hieß, abgelöst, ohne dass die Einschaltquoten darunter leiden würden. Bei 6 Millionen Arbeitslosen und rund 400.000 zwangsgeräumten Wohnungen ist die Krise in einem Land, wo die Glotze ständig läuft, im Herzen der Gesellschaft – und damit des Fernsehpublikums – angekommen.
Eine internationale koffeinhaltige Brause und die Tratschpostille Pronto gehen gar noch einen Schritt weiter. Sie nutzen die Empörung der Bevölkerung für ihre Marketingkampagnen. Der Getränkehersteller installierte an öffentlichen Plätzen verblüffend echt aussehende Geldautomaten, die auf Knopfdruck 100-Euro-Scheine verschenkten, nachdem der Empfänger bestätigt, das Geld für not leidende Nachbarn einzusetzen. Die so Bedachten wurden dann gefilmt, wie sie Windeln, Lebensmittel oder Spielsachen an arbeitslose Nachbarn verschenken. Und die Zeitschrift Pronto legte jüngst einer Ausgabe Aufkleber gegen Zwangsräumungen bei, die mittlerweile in so manchem Treppenhaus kleben.

Was bisher geschah: