Die tunesische Gewerkschaft UGTT hat einen Generalstreik für den gestrigen Donnerstag im letzten Augenblick abgesagt. „Die Entscheidung fällt angesichts der schwierigen Situation, der Anspannung und des Klimas der Unsicherheit, die das Land durchlebt“, erklärte der Generalsekretär der ältesten und größten Gewerkschaft Tunesiens, Houcine Abassi, am Mittwoch Abend.
Der Absage des Generalstreiks – es wäre der zweite seit der Unabhängigkeit 1956 gewesen – ging ein zweitägiger Verhandlungsmarathon zwischen dem UGTT-Vorstand und der islamistischen Regierung von Hamadi Jebali und seiner Ennahda voraus. Beide Seiten einigten sich auf ein Abkommen, das die Rolle der Gewerkschaft – mit mehr als einer halben Million Mitglieder die größte Organisation des Landes – stärkt, sowie auf die Untersuchung von mehreren gewalttätigen Übergriffen auf UGTT-Aktivisten und Gewerkschaftslokale in den vergangenen Monaten.
Der schlimmste Überfall fand am 4. Dezember vor dem Gebäude der UGTT-Zentrale in der Hauptstadt Tunis statt. Eine Gedenkveranstaltung an den vor 60 Jahren ermordeten UGTT-Gründer wurde von der „Liga zum Schutz der Revolution“ angegriffen. Die regierungsnahen Schläger verletzten mehrere Menschen teils schwer.
Nach den Verhandlungen der letzten Tage verurteilte die Regierung erstmals förmlich die Attacke und stimmte der Einrichtung eines gemeinsamen Untersuchungsausschusses zu. Außerdem fordert die Regierung die Justiz auf, die Verantwortlichen so schnell wie möglich zur Rechenschaft zu ziehen. Ein Verbot der im Frühsommer 2012 gegründeten Liga, wie sie von Seiten der UGTT und anderen Organisationen der tunesischen Zivilgesellschaft gefordert wird, soll es allerdings ersteinmal nicht geben.
Die Absage des Streiks wurde gestern auf Blogs und Nachrichtenseiten heftig diskutiert. Dabei kam die UGTT nicht gut weg. „Wir haben einen selbsternannten, Obersten Führer, der diese Liga beschützt“, analysiert die Tageszeitung Le Temps die Regierungspolitik und wirft der UGTT vor gescheitert zu sein. „Mit der Übereinkunft zwischen Regierung und UGTT, die die Kapitulation der Gewerkschaftszentral gegenüber der schleichenden Diktatur besiegelt, können die Tunesier nur noch auf sich selbst setzten, um die Diktatur aus dem Land zu treiben“, heißt es auf der Nachrichtenseite kapitalis.com.