© 2012 Reiner Wandler

Katalonien: Mit der Fahne bis zum Sieg

Kataloniens Präsident Artur Mas strebt einen ganz großen Platz in der Geschichte an. Er will seine nordostspanische Region bis 2020 in die Unabhängigkeit führen. „Der Wille eines Volkes“, lautet der Slogan mit dem seine konservativ, nationalistische Convergència i Unió (CiU) um Stimmen bei den vorgezogenen Neuwahlen am kommenden Sonntag wirbt.

Mas stellt sich damit geschickt an die Spitze einer Bewegung, die in den vergangenen Jahren Volksabstimmungen auf Gemeindeebene für die Unabhängigkeit durchgeführt und am katalanischen Nationalfeiertag im September 1,5 Millionen Menschen auf die Straßen Barcelonas mobilisiert hat. Die Umfragen prognostizieren einen Stimmengewinn für CiU, auch wenn es zur absoluten Mehrheit nicht reichen wird. Zweite Kraft im Parlament könnten erstmals die radikaleren Nationalisten der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) werden. CiU und ERC hätten somit eine breite Mehrheit, um Madrid zu einer Volksabstimmung über die Zukunft der Region zu zwingen.
Mas ist ein geschickter Taktiker. Denn eigentlich ist er mit seiner Politik gescheitert. Er versprach, als er im Dezember 2010 erstmals die Wahlen gewann, einen „Fiskalpakt“ für Katalonien. Ähnlich wie im Baskenland sollten künftig die Steuern direkt in Katalonien erhoben werden um nur das abzuführen, was für zentralstaatliche Dienste notwenig ist. Diese ginge unter anderem zu Lasten der ärmeren Regionen Spaniens, die von den reicheren durch Umlagen, die Madrid zuweist, unterstützt werden. Nicht nur Katalonien, auch die Hauptstadtregion Madrid und die Balearischen Inseln führen überproportional ab. Spaniens konservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy, der selbst nicht weiß, wie er ein Rettungsgesuch an die EU umgehen soll, erteilte Mas im September eine Absage. Mas fuhr erbost nach Barcelona zurück, setzte vorgezogenen Neuwahlen an und musste in Madrid um fünf Milliarden Euro aus dem spanischen Rettungsfond für angeschlagene Regionen beantragen.
Es war das Ende einer Symbiose von Mas‘ CiU und der Volkspartei (PP) Rajoys. Obwohl Mas einst 2010 im Wahlkampf vor einem Notar ein Schriftstück unterzeichnete, in dem er versprach, nie und nimmer mit der PP zu regieren, verfolgten beide Parteien eine gemeinsame Sparpolitik in Spaniens Haushaltskrise und unterstützten sich in den Parlamenten in Barcelona und Madrid gegenseitig. Gemeinsam bauten sie den Sozialstaat ab, während Steuererleichterungen für Besserverdienenden aufrecht erhalten wurden. Alleine in Katalonien werden im Gesundheitsbereich 7.500 Stellen gestrichen, im Bildungswesen fallen 3.500 Lehrer weg.

„Katalonien wäre mit einem eigenen Staat absolut lebensfähig“, beteuert Mas auf seinen Wahlkampfveranstaltungen immer wieder. In einem unabhängigen Katalonien würde die Arbeitslosigkeit – derzeit 25 Prozent – und die Armut – 30 Prozent – zurückgehen, und all das bei niedrigeren Steuern für Unternehmen. Mas will in den kommenden vier Jahren will er ein Referendum über die Unabhängigkeit einberufen, auch wenn dies nach derzeitiger spanischer Gesetzeslage gar nicht möglich ist. „Mit einem eigenen Staat wären wir das siebte Land in der EU“, rechnet Mas gerne vor, trotz Warnung von EU-Kommisionspräsident José Manuel Durao Barroso, dass eine abtrünnige Region automatisch auch aus der EU ausscheiden würde. Eine Minderheit in Brüssel sieht einen erneuten Aufnahmeantrag jedoch nicht als zwingend.
Auch Korruptionsvorwürfe gegen seine Familie und die seines Vorgängers an der Spitze von CiU, dem langjährigen Präsident Kataloniens Jordi Pujol, können den nationalistischen Höhenflug von Mas nicht stoppen. Die Tageszeitung El Mundo veröffentlichte Informationen aus angeblichen Ermittlungsakten, nach denen beide Familien dreistellige Millionenbeträge auf Konten in der Schweiz und Liechtenstein besitzen. Es soll sich um Bestechungsgelder aus der Vergabe von Aufträgen handeln, die von der katalanischen Regierung beim Bau der Konzerthalle in Barcelona vergeben wurden. Ein Teil der Schmiergelder sei an die Partei geflossen, ein anderer Teil an die Parteiführer. „Das Establishment, das bestimmte traditionelle Strukturen in Spanien verteidigt, hat sich in Bewegung gesetzt und der spanische Staat wird das auch tun, denn sie tolerieren nicht, dass in Katalonien eine solche Opposition gemacht wird“, begibt sich Mas einmal mehr in die Rolle des Opfers der Madrider Politik.

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