Die Spekulationsblase ist geplatzt. Spanien steckt in der Krise, der Konsum bricht ein. Der gesamte Konsum? Nein. Eine Branche floriert auch weiterhin: Die Prostitution.
39 Prozent der Spanier frönen dem käuflichen Sex. Spanien liegt damit an der Spitze Europas, gefolgt von den Schweizern mit 19 Prozent auf Platz 2 und Österreich mit 15 Prozent auf Platz 3. Deutschland liegt in der Gruppe der Länder unter 13 Prozent und wird in der Statistik nicht gesondert aufgeführt. Die größte Konsumentengruppe sind Männer zwischen 35 und 55 Jahre, das zeigt eine Studie der Hilfsorganisation für Prostituierte APRAM in Madrid.
„Ir de putas“ – „Zu den Nutten gehen“ – ist in Spanien längst nicht so moralisch verwerflich wie sonst in Europa. Bereitwillig stehen Freier in Fernsehdokumentationen Rede und Antwort. Der sozialdemokratische Landesvater des nordpanischen Kantabrien kann ungestraft in einem Interview erklären, dass er seine erste Erfahrungen, natürlich unter väterlicher Anleitung, im Puff sammelte. Zwischen 300.000 und 500.000 Frauen bieten in Spanien schätzungsweise ihre sexuellen Dienste den 20 Millionen spanischen Männern – Greise und Kleinkinder mitgerechnet – an. Meist kommen sie aus Lateinamerika und Osteuropa. So manche derer, die in aller Öffentlichkeit um Freier werben, dürften kaum älter als 16 sein. 50 Millionen Euro Umsatz erbringt das Geschäft mit dem käuflichen Sex täglich, so eine andere Studie.
Prostitution ist in Spanien weder legal, noch ist sie illegal. Im Gesetz kommt sie ganz einfach nicht vor. Das macht die Angelegenheit für die Frauen einfach und schwer zugleich. Sie werden überall geduldet. Ob in der Innenstadt von Madrid, im Stadtwald oder in den Industriegebieten bieten sie offen ihre Dienste an. Pensionen und Hostals haben sich darauf spezialisiert, ihnen Zimmer im Viertelstundentakt zu vermieten. Die Landstraßen sind voller Clubs mit bunten Leuchtreklamen. Selbst die kleinsten Dörfer nennen ein Bordell ihr eigen.
Doch vor allem die Prostituierten auf den Straßenstrichs beschweren sich zunehmend über ihre nicht geregelte Situation. Sie werden leicht zum Opfer von Gewalt durch Freier und der Willkür der Ordnungskräfte. In Madrid demonstrierten Anfang November hunderte von Frauen. Sie verlangten einen Rotlichtdistrikt, in dem sie arbeiten können. Die Stadtverwaltung stellt sich taub. Eine Lobby haben die Frauen keine. Die Parteien ignorieren das Gewerbe ganz einfach. Und die Presse lebt von der Situation, so wie sie ist.
Denn die großen Tageszeitungen des Landes – auch die konservativen und katholischen – verdienen einen nicht unerheblichen Teil der Werbeeinnahmen mit mehreren Seiten voller Kleinanzeigen von Bordellen und Prostituierten. Sie dürfen sehr explizit beschreiben, zu welchen Dienstleistung sie bereit sind, und ob dies mit oder ohne Schutz möglich ist. Und in der Mittelmeerstadt Valencia haben sogar die städtischen Verkehrbetriebe das Geschäft mit dem käuflichen Sex entdeckt. Im Oktober fuhren dort die Buse mit großflächiger Werbung für ein Bordell durch die Stadt.