Marokkos König Mohamed VI. ruft seine Untertanen an die Urnen. Nur zwei Wochen nach dem er höchstpersönlich eine Verfassungsreform vorgestellt hat, wird der Text am Freitag einem Referendum unterzogen. Die neue Verfassung, die von einem von Mohamed VI. bestellten Expertenteam ausgearbeitet wurde, ist die Antwort auf die Demokratiebewegung, die seit dem 20. Februar Sonntag für Sonntag überall im Lande die Menschen auf die Straßen mobilisiert.
Die neue Verfassung stärkt die Rolle des Regierungschef. Er wird alle Minister auswählen, der König wird sie dann ernennen. Bisher hatte der König das Recht die Schlüsselministerien alleine zu besetzen. Doch an der eigentlichen Macht des Königs rüttelt die neue Verfassung kaum. Er ist weiterhin der Vorsitzende der wöchentlichen Kabinettssitzungen, bestimmt die Aussenpolitik, bleibt Oberbefehlshaber der Armee, steht dem neuzugründenden Sicherheitsrat, und dem Hohen Richterrat vor. Der König, der per Verfassung der Führer aller Gläubigen ist, kann auch weiterhin ganz alleine den Notstand ausrufen.
„Wir sind weder mit dem Inhalt, noch mit der Art, wie die neue Verfassung ausgearbeitet wurde, einverstanden und rufen deshalb zum Boykott der Abstimmung“, erklärt Younes Derraz, einer derer, die von Anfang an der Demokratiebewegung 20. Februar angehören. Die Demonstranten verlangte auch am vergangenen Wochenende unbeeindruckt vom Projekt des Königs überall im Land eine Verfassungsgebende Versammlung statt einer von oben erlassenen Reform. Die CDT – eine der Gewerkschaftszentralen des Landes, mehrere linke Parteien, Menschenrechtsorganisationen und der größten islamistische Organisation „Gerechtigkeit und Spiritualität“ schließen sich dem Boykottaufruf an. „Wir haben keinerlei Zugang zu den Medien“, beschwert sich Derraz. Auch deshalb beschlossen die Gegner der Verfassung eine Boykottkampagne statt mit „Nein“ zu stimmen.
„Die neue Verfassung leitet den demokratischen Übergang ein“, verteidigt, der als kritische Geist bekannte, Politikwissenschaftler Mohamed Darif, das Projekt des Königs und schließt sich damit dem breiten Bündnis der im Parlament vertretenen Parteien und wichtigen Organisationen des Landes an, die für das „Ja“ zur Verfassung mobil machen. Auch die Vorbeter in den Moscheen hielten vergangenen Freitag eine Predigt für das Projekt des Königs. Mit „Ja“ zu stimmen sei „eine religiöse und nationale Pflicht“, hieß es in der Predigt, die vom Religionsministerium geschrieben worden war.
Darif warnt: „Eine niedrige Wahlbeteiligung wäre für die Bewegung 20. Februar ein Sieg.“ König und Regierung wissen dies, und versuchen deshalb alles, um die Menschen an die Urnen zu bringen, und die Demokratiebewegung zu isolieren. In den vergangenen Tagen kommt es fast täglich zu Übergriffen auf Kundgebungen der Demokratiebewegung durch Anhänger des Monarchen – meist vor den Augen der untätigen Polizei.
Erstmals dürfen auch die im Ausland lebenden Marokkaner wählen. Über 500 Wahllokale wurden in Konsulaten und Botschaften eingerichtet. Selbst in den Häfen in Südfrankreich und Südspanien stehen Urnen für die Immigranten, die dieser Tage in ihre Heimat zurückreisen. Dort liegen nicht einmal Wählerlisten aus. Rein theoretisch wäre es möglich, das jemand vor der Heimreise im Konsulat wählt, dann vor der Überfahrt im Hafen und nach der Ankunft zu Huase gleich noch einmal. „Wir sind es gewohnt, dass die Wahlen gefälscht werden“, ist alles was Derraz dazu einfällt.