© 2011 Reiner Wandler

Grenzlage verbessert sich

Sie klatschen, sie lachen und sie singen. Aus Dankbarkeit: „Tunesien, wir lieben dich.“ Ein belegtes Brot, eine Flasche Wasser und die Ägypter steigen in die Busse Richtung Djerba. Seit dem Wochenende werden die Flüchtlinge, die aus Libyen nach Tunesien kamen, von dort in großen Zahlen in ihre Heimat geflogen. „Zur Zeit evakuieren wir per Flugzeug und Schiff mehr Leute als neu über die Grenze kommen“, erklärt Gilbert Greenall. Der Brite ist der Verantwortliche der UNDAC, der Chef der United Nations Disaster Assessment and Coordination, am Grenzübergang in Ras Ajdir. „Wenn das so weiter geht, ist die Flüchtlingswelle in zehn Tagen bewältigt“, zeigt er sich optimistisch.

Seit Freitag unterstützt die UNDAC zusammen mit mehreren internationalen Hilfsorganisationen die tunesische Armee und die Freiwilligen aus dem ganzen Land, die über eine Woche die humanitäre Krise am Grenzübergang Ras Ajdir alleine bewältigen mussten. „Wir haben ein Camp für 20.000 Menschen errichtet und absolvieren täglich 50 Flüge“, resümiert Greenall. Der Flughafen im Urlaubsparadies Djerba könne insgesamt bis zu 100 Maschinen am Tag abfertigen, bestätigen die Flughafenbeamten.

Auch die Zeltstadt, die mit Hilfe des UN-Flüchtlingskommissariat (UNCHR), des Rote Kreuz, der muslimische Hilfsorganisation Islamic Relief und der tunesischen Armee sieben Kilometer vom Grenzposten entfernt errichtet wurde, hat noch weitere Kapazität. „Wenn nötig können wir das Camp für insgesamt 31.000 Menschen ausbauen“, erklärt Greenall.

Neben Djerba werden die Flüchtlingen auch von den Häfen in Zarzis und Gabès in ihre Heimat gebracht. Auch drei Bundeswehrschiffe sind an der Operation beteiligt. Sie bringen insgesamt 450 Ägypter nach Alexandria. Die UNDAC erwartet weitere Militärschiffe aus Europa. Und die US-Armee erwähnt eine Luftbrücke.

Sorgenkind der Helfer sind längst nicht mehr die Ägypter, die die überwältigende Mehrheit der Flüchtlinge ausmachen, sondern die Menschen aus Bangladesh. Die dortige Regierung tut nichts für sie. Die Wege sind weit, der Transport teuer. Deshalb sitzen sie im Durchgangslager und wissen nicht, wann und wie es weitergeht.

Das Gelände direkt am Grenzübergang, wo bis zum Wochenende Zehntausende ohne Schatten und bei empfindlich kalten Nächten campierten, hat sich geleert. Nur der Müll und die verlassenen selbstgezimmerten Unterstände zeugen noch davon, was sich hier in der vergangenen Wochen abgespielt hat. Die tunesischen Helfer säubern das Gelände.

In den letzten drei Tagen kamen nur noch rund 2000 Menschen pro Tag über die Grenze. Beim großen Ansturm Anfang der Woche waren es teilweise mehr als 15.000 am Tag. Über 100.000 Menschen kamen insgesamt. „Die Libyer fangen die Flüchtlinge weit im Landesinneren ab und halten sie fest“, erklärt eine tunesischer Grenzsoldat. Das habe er von Ägyptern erfahren, die es bis nach Tunesien geschafft haben.

Für Greenall, der seit 30 Jahren hilft, humanitäre Krisen zu meistern, ist das, was er in Tunesien antraf „eine Erfolgsstory“. Das Land hat seit dem Sturz des Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali am 14. Januar so gut wie keine staatlichen Strukturen mehr. Sie entstehen erst langsam wieder neu. Dennoch wurde den Flüchtlingen alle nur erdenkliche Hilfe zu Teil.

Zuerst war es das Revolutionskomitee aus der ersten Stadt auf tunesischer Seite, Ben Gardane, das die örtlichen Vereine, das Krankenhaus und die Bevölkerung mobilisierte. Dann kamen Hilfskarawanen aus dem ganzen Land. Über lokale Radios, Schulen, Vereine, Moscheen, und selbst über Facebook sammelten die Tunesier spontan Geld, Kleidung und Verpflegung und brachten all das nach Ras Ajdir.

„Die internationale Gemeinschaft hat lange gebraucht“, beschwert sich ein Helfer der ersten Stunden, Ali Tlig. Er ist Krankenpfleger aus dem städtischen Krankenhaus in Ben Gardane. Tlig steht mit seiner Feldapotheke direkt an der Grenze. „Die Seuchengefahr ist noch nicht gebannt. Es fehlen Duschen und Toiletten“, sagt er.

Auch Greenall weiß das. Das Problem werde in den kommenden Tagen gelöst. Wäre alles in bester Ordnung, wäre da nicht „eine große Unbekannte“. „Wenn Gaddafis Truppen tatsächlich Menschen von der Flucht abhalten und diese alle auf einmal freiläßt, dann kann sich die Lage hier erneut zuspitzen“, warnt der UNDAC-Verantwortliche.

Was bisher geschah: